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Pinsel, Farbe, Malerei


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Pinsel, Farbe, Malerei


Geht es noch spröder? Lapidarer, treffender aber auch und unbedingt präziser, als es selbst ein längst schon klassisch anmutendes „Ohne Titel“ wäre? Noch bescheidener am Ende gar als „o.T.?“ Nun, bei Jutta Obenhuber allemal.


„Lackbild“, „Streifenbild“ oder auch, vergleichbar nüchtern und prosaisch, „Pinselstricharbeit“ sind die Tableaus von Jutta Obenhuber schon mal überschrieben, „Fadenbild“ und „Tupfen“ und dergleichen mehr. Und genau das zeigen sie auch.


In- und übereinander gelegte Farbfelder, die sich dem Betrachter als leuchtend vielfarbige „Streifenbilder“ präsentieren, „Pinselbilder“, die in scheinbar selbstvergessener und nachgerade automatischer Bewegung die Spuren des von der Hand geführten Werkzeugs, „Fadenbilder“, welche die Struktur der Leinwand offenlegen.


Bilder aber auch in Lack auf Aluminium, Schicht um Schicht und flächendeckend aufgebracht nur, um all die monochromen Lagen des satten Kolorits mit feinstem Schleifpapier alsbald geduldig wieder zu entfernen, Ein- und Aus- und Durchblicke freizulegen und aus den Tiefen des Bildraums hier ein glühendes Rot, dort ein flackerndes Orange oder auch bloß eine zarte Spur von Himmelblau ans Licht zu holen.


Als ginge es ihr schlicht darum zu beschreiben, was man sieht. Darum offenzulegen, wie das gemacht ist, was „Lack“- und „Fadenbilder“ materialiter zu bieten haben und was also das Bild buchstäblich zusammenhält, kurzum: Um die Parameter aller Malerei.


Um Pinsel, Farbe, Leinwand, um Raum und Fläche und Struktur, um die Frage nach Motiv und Grund und dergleichen genuin malerische, das eigene Medium ins Zentrum stellende Fragen mehr. Fragen mithin, die Obenhubers eigentliches Thema vorstellen, das sie über Jahre und Jahrzehnte in ihren stets seriell angelegten Werkgruppen bearbeitet und reflektiert.


Und für die aktuellen „Pinselstricharbeiten“ gilt das in womöglich noch einmal verstärktem Maße. Dabei handelt es sich bei den teils gewaltigen Formaten bei Licht besehen nicht einmal um Malerei. Sondern um Siebdrucke, die Malerei, die Farbe und Farbauftrag, Form und Geste und Textur mit durchaus malerischen Mitteln im Medium der Druckgrafik verhandeln.


Eine Gratwanderung, keine Frage, Bild um Bild. Denn so überlegt und planmäßig ihr Vorgehen dem Betrachter auch erscheinen mag, so präsent die Referenzen in Jutta Obenhubers Schaffen von Monet bis Mondrian und von Matisse bis Barnett Newman auch erscheinen: Obenhubers auf gesicherter Basis entwickeltes Konzept erweist sich noch stets als außerordentlich prekär.


Ohne Kontingenz, ohne die Dialektik von Zufall und Kalkül, ohne das Vertrauen in den Prozess zum Bild aber auch ist ihre Kunst am Ende nicht zu haben.


Hier erst, auf der rohen ungrundierten Leinwand, mit dem immergleichen, immer anderen Pinselstrich, den sie mit ihrem Sieb, zu Farbfeldern geronnen, mal durchscheinend, mal nachgerade fadenscheinig, sich zu neuen Farbereignissen überlagernd oder ganz im Gegenteil undurchdringlich überlappend auf Jute, Stoffe, Segeltücher setzt, entfalten Obenhubers Gouachen ihren ganzen Zauber.


Und die so strenge, präzise kalkulierte Malerei erscheint alles andere als akademisch. Sondern Sieb um Sieb und Bild um Bild und mithin gleichsam Vers um Vers als reine Poesie.


Christoph Schütte








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Dr. Judit Szeifert, Nationalgalerie Budapest


Das Treffen von Parallelen


Die Schnittpunkte der Arbeiten von Caroline Krause und Jutta Obenhuber


Die uns umgebende Welt ist vielfarbig, uns erreichen ungeheuer viele Impulse und ein Informationsdumping überschwemmt uns Tag für Tag. In dieser hektischen Welt ist auch die Kunst vielfältig, die Künstler können unter vielen Alternativen wählen was das Genre als auch die technischen und inhaltlichen Möglichkeiten angeht. Im Pluralismus des künstlerischen Lebens gibt es trotzdem Schöpfer, in deren Kunst Ähnlichkeiten, Berührungspunkte entdeckt werden können. Nicht, weil sie zum gleichen künstlerischen Trend gehören, noch aufgrund stilistischer Übereinstimmungen, sondern weil in der Gedanklichkeit, den inhaltlichen Elementen eine Parallele verborgen ist, was natürlich auch gewisse formale Ähnlichkeiten nach sich zieht. In den Werken von Caroline Krause und Jutta Obenhuber können mehrere dieser Zusammenklänge aufgedeckt werden, obwohl sie technisch, im Genre, oft sogar auch formal unter Verwendung verschiedener Mittel schöpfen. Dennoch offenbart sich manchmal auffällig, ein anderes Mal nach vertiefterer Betrachtung die Verwandschaft ihrer Arbeiten.


Insgesamt stehen die von der Natur und dem Menschen geformte Umwelt sowie die Verbindung zwischen Teil und Ganzem im Mittelpunkt von

Beider Kunst. Das Licht und der Schatten, die Transparenz und Geschichtetheit, die Verwendung von organischen und geometrischen Formen sind grundlegende verbindende Klammern zwischen den Werken der beiden Künstler.
Die Landschaften, Naturerscheinungen (z. B. Meer, Berge, Flüsse) erscheinen auch konkret als eigenständiges Bildthema in einzelnen Werken, eindeutig die Verbindung zur Natur anzeigend, die empfangenen Werte, die der Mensch ständig versucht, nach "seinem eigenen Bild zu formen." Caroline und Jutta nähern sich mit feinen, empfindlichen Schwingungen diesen Phänomenen und verewigen sie. Mit vorsichtiger und ängstlicher Sorge, mit ihrer Kunst von schon fast pantheistischer Anschauung wollen sie Teil der Natur und nicht deren Gestalterinnen sein. Sie wollen nicht die Formen, Phänomene der Natur imitieren, vielmehr schöpfen sie, indem sie deren schaffender, aufbauend-destruktiver Arbeit nachfolgen. Dieser Effekt steigert sich noch bei jenen Werken, wo die lasierten, gelösten Farboberflächen und feine geometrische Netzwerke, Konstruktionszeichnungen zusammen erscheinen. Dazu gehören auch Jutta Obenhubers Textilinstallationen, die ebenfalls auf geometrische Formen verweisen, aber bei denen das biegsame Schweben der einander überschneidenden, über- und untereinander frei hindurchschlüpfenden Textilfasern, die Schlagschatten und das da und dort aufscheinende Gewebe die Struktur organisch macht. Die gleiche beschwingt schwebende, transparente Komposition charakterisiert die Fotos von Caroline Krause, wo der Prismenbrechung ähnelnd farbige Streifen auf die weiße Fläche projiziert werden. Dies ist nicht nur ein LIchtbild, sondern tatsächlich ein Bild des Lichts. Beide Künstler ergreifen die momentanen und flüchtigen Momente, gleichsam ein Denkmal für die Vergänglichkeit errichtend. Die Strukturen brechen Unregelmäßigkeiten auf und machen die Schöpfung lebendig, fast schon hinfällig.


Andere Arbeiten erschaffen mit geometrischen Formen (Quadrat, Rechteck, Dreieck) Farbrhythmen, modellieren Form- und Farbharmonien. Die musikalische Assoziationen weckenden Kompositionen erwecken mit planen Ebenen eine flächige Wirkung, und ihre pastellenen Farben wie ihre feine Faktur steigern die Lyrizität der Kompositionen. Die natürlichen Formen und die geometrischen Gestalten erscheinen so innerhalb einer Komposition. Die lasierten Oberflächen lösen die Strenge der geometrischen Gestalten. Die von der menschlichen Hand geschaffenen, präzise geplanten Strukturen und die natürliche Umwelt, die Effekte der organischen Oberflächen sowie die Bewusstheit und Spontaneität verbinden sich in diesen Werken.


Die Hervorhebung des Fragments, des Details spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei beiden Künstlern. Die Grundidee der Werke geht von dieser Dichotomie aus, dass die Totalität der Teile/Details das Ganze erschafft und auch nur ein fehlendes Stückchen die Interpretation des ganzen Werks gefährden könnte, zugleich der Teil in sich die Eigenschaften des Ganzen trägt, auch als separate Einheit eine Bedeutung hat.


In der aus Teilen bestehenden künstlerischen Schöpfung hat jeder selbständige Teil, über seinen eigenen gegenständlichen Wert hinaus, einen Positionswert. Das Verständnis eines Werkes bleibt im Allgemeinen so lange unvollständig, so lange wir seinen Situationswert nicht aufgedeckt oder rekonstruiert haben. Folglich kann dasselbe Teilelement eine ganz andere Einschätzung bekommen, betrachtet man es in sich, aus seinem Zusammenhang herausgehoben bzw. aus seiner gewohnten Rolle versetzt. Das in je unterschiedliche Kontexte eingesetzte Segment oder das als selbständiges Bildthema vortretende Detail ist in jeder Situation anders interpretierbar. Die Fragmente erscheinen bald einander überschimmernd, bald einander verdeckend. Aus dem Schnitt von übereinanderliegenden Schichten und transparenten Oberflächen werden Netzwerke, konstruktive Strukturen, Interieursegmente, Landschaftsfragmente, schwach aufdämmernde Fleck- bzw. leidenschaftliche Gestenkompositionen geboren.


Unsere Zeit ist eine der Trends, der Moden. Zum Mainstream zu gehören verlockt mit schnellem Erfolgserlebnis, das jedoch augenblicklich und vergänglich ist. Es gibt Schöpfer, die den einfachen Weg wählen und sich in die Reihe stellen. Sie leben für das Jetzt und schöpfen. Allerdings gibt es einige, die auf den Drang der inneren Erfindung hören und ihre Sache tun, wie Caroline Krause und Jutta Obenhuber. Unbekümmert um den dröhnenden Lärm der aktuellen Trends, gehüllt in Stille, konzentrieren sie sich auf die wesentlichen Dinge. Auf die Wunder der Natur, das Spiel der Lichter, die farbigen Schatten, auf die in den Details versteckte Vollständigkeit. In ihren isolierten Schöpferwelten formulieren sich ähnliche Gedanken, die in ihren Werken wie Parallelen in der Unendlichkeit zusammentreffen. Sie akzeptieren, Teil dieser Zeit zu sein, aber sie wissen und fühlen gleichzeitig die Verantwortung dafür, Teil eines größeren Ganzen zu sein: der Kunst.









Burkhard Brunn


Über Jutta Obenhubers Fadenbilder


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„Bildträger“ heißt die auf Keilrahmen gespannte Leinwand, eine Leinwand allerdings, auf der die Künstlerin nicht malt. Im Gegenteil: Jutta Obenhuber nimmt diesen Bildträger buchstäb-lich auseinander, indem sie der Leinwand Fäden entzieht, bis sie erschlafft. Was übrig bleibt, ist ein schütteres, ausgefranstes Geflecht, infiltriert von neu eingezogenen, farbigen Fäden, die hier und da über die Unterkante des Bilderrahmens hinaushängen und derart an vertikale Farbschlieren erinnern - wie man sie vom action painting her kennt. Dennoch nennt die Künstlerin diese Arbeiten „Fadenbilder“- Bilder also. Normalerweise ist der Bildträger mit Farbe bedeckt, er ist unter dem Bild verborgen. Was heißt das aber, wenn der Bildträger zum Bild wird? Es handelt sich dabei wohl um eine Emanzipation: Paul Cézanne hat bekanntlich an einigen Stellen seiner Bilder die unbehandelte Leinwand stehen lassen, die Farbe des Bildträgers wird so farblich gleichberechtigter Bestandteil des Bildes. Robert Ryman hat technische Details der Aufhängung in seine weißen Bilder als Komponenten integriert. Auf diese Weise verliert die Technik – Rahmen, Bildträger, Aufhängung – ihre dienende Funktion und wird Bestandteil des Bildes selber, wodurch dieses - von seinen Abhängigkeiten befreit - an Autonomie, d.h. an Freiheit gewinnt. Verwandt ist dieser Aspekt mit der Strategie, die hierarchische Komposition des herkömmlichen Bildes, die in den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts als autoritäre Setzung empfunden wurde, durch Monochromie oder Serialität der Bildbestrandteile zu zerstören: Es geht dabei gegen Herrschaft, damals gegen die Dominanz von Teilen der Komposition und hier jetzt gegen die Unterscheidung von Dienen (Bildträger) und Herrschen (Bild). Ordinäre Gebrauchsgegenstände als Kunstwerke zu nobilitieren, wie ja seit Duchamps Urinoir in der Kunst verbreitet, zeigt zwar nicht die gleiche, aber doch eine ähnliche Tendenz.


Ein Bild ist das einen halben Quadratmeter große luftige, räumliche Gespinst aus dünnen Fäden nicht, das hoch, undefinierbar farblich, kaum sichtbar über eine Wandkante gezogen ist. Die Fäden, die hin und her durch Nadelöhre laufen – die Nadeln stecken in der Wand – bilden eine über Eck schwebendes hauchfeines Netzwerk. Anders als Bilder in ihrer rechteckigen Fensterform passt das unregelmäßig geformte Gebilde sich der Architektur nicht an. Nur natürliche Gebilde, etwa Spinnenetze, Kokons, Wespennester, die irgendwo nach nicht-menschlichen Kriterien eingenistet sind, weisen diese Gleichgültigkeit gegen menschlich vorgegebene Strukturen und Machenschaften auf. Die Gleichgültigkeit der Natur gegen die Techniken zu ihrer Beherrschung erscheint uns unheimlich. So ist auch das quasi-natürliche Gespinst nicht ganz geheuer, wenn auch nicht ohne Poesie. Es erinnert an die den Spinnen abgeschauten Netze, mit denen die Indios über den trockenen Anden Wolken fangen und abregnen lassen, um sich des raren, kostbaren Wassers zu bemächtigen.


Sowohl die schütteren Fadenbilder als auch das kaum sichtbare Gespinst erscheinen auf das äußerste minimiert und insofern auch als prekär: zöge man ein paar Fäden mehr, sackte der Bildträger völlig zusammen, dasselbe gilt für die Fadenwolke. Ein Merkmal dieser Arbeiten ist ihr tendenzielles Verschwinden. Bemerkenswert ist die buchstäbliche Transparenz dieser Kunstwerke: nicht nur scheint die Zimmerwand durch die Fadentextur, sondern jeder Fadenverlauf ist leicht nachvollziehbar, nirgends rätselhafte Knoten, keine Raffinesse, keine Täuschungen, jede Entscheidung offen, alles ehrlich. Rosemarie Trockel ist die bekannteste unter den Künstlerinnen, die durch die reflektierte Verwendung femininer Techniken wie das Stricken eine weibliche Perspektive in die Kunst gebracht haben. Jutta Obenhubers Fadenbilder auch unter diesem Aspekt zu betrachten, liegt auf der Hand.








Dr. Barbara Wolbring


Jutta Obenhuber: Don’t be afraid


Zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Sylvia Bernhard, Wiesbaden 7.4.2011
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Den Faden aufnehmen …


Mit den „Fadenarbeiten“ zeigt Jutta Obenhuber in dieser Ausstellung erstmals eine neue Werkgruppe – Arbeiten, in denen die stoffliche Textur der Leinwand vom Untergrund von Malerei ins Zentrum der künstlerischen Aufmerksamkeit gerückt wird. Mit diesen Arbeiten hat Jutta Obenhuber in mehrfacher Hinsicht den Faden aufgenommen. Es gilt schon biographisch: Nachdem sie ein paar Jahre in Texas gelebt hat, sind diese Arbeiten wieder hier in Deutschland entstanden, in Wiesbaden und Frankfurt, wo sie lebt und arbeitet und wo sie an der Städelschule bei Raimer Jochims und Thomas Bayrle studiert hat. Die verschlungen Fäden, die sichtbar sind und dann wieder hinter anderen Fäden verschwinden, die die Struktur des Gewebes aufnehmen und zugleich zergliedern, knüpfen an (noch so ein Faden-Wort) an die Pinselarbeiten, mit denen sie sich vor dem USA-Aufenthalt viel beschäftigt hat. Bei diesen Pinselarbeiten entsteht von weitem der Eindruck einer Gewebestruktur durch die Art, wie die Linien angeordnet sind. Die Pinselstriche bleiben als Linien erhalten. Sie überlagern sich, und doch bleiben tieferliegende Schichten sichtbar. Das Neue überlagert das Vorhandene, ohne es vollständig zu verdecken.


Es ist ein Spiel mit den Farben, mit Linien, mit der Struktur von Malerei. Die Pinselarbeiten zeigen eine Gewebestruktur. Die Linien erinnern an ein Gewebe. Doch ist es eine gemalte, eine von der Künstlerin gemachte Struktur. Es ist eine Fläche, abstrakte Malerei. Es ist dabei keine monochrome Fläche, sondern bunt, in Bewegung, eine Spielfläche oder Tanzfläche. Der Untergrund dieser Malerei ist hingegen ohne Struktur und eigene Bewegung, es ist glattes Metall, kaltes Aluminium. Erst durch die Malerei erhält die Fläche Struktur und Wärme.


Die Pinselarbeiten waren Malerei ohne Leinwand auf einem Untergrund ohne Struktur. Die Farbe, das Malen selbst stand im Mittelpunkt und wurde zum Thema. Nun geht Jutta Obenhuber eine Schicht tiefer, unter die Farbe. Die Leinwand ist hier nicht Untergrund von Malerei, sondern wird selbst künstlerisch erforscht und bearbeitet: Fäden werden herausgenommen und neue eingezogen. Die Gewebestruktur, das sich Kreuzen vertikaler und horizontaler Fäden und Streifen, tritt deutlicher hervor. Die einheitliche Fläche wird vielgestaltiger, transparenter zunächst. Es entsteht eine Offenheit, die die eigentliche Struktur sichtbarer macht und zudem Raum schafft, neue Strukturen der alten einzuweben: Neue Fäden werden eingezogen. Dicke und dünne, breite und schmale, bunte vor allem. Nicht immer sind sie fadengerade, sondern schlängeln sich, treten teilweise sogar aus der Fläche heraus.


Betrachtet man diese Fadenarbeiten aus etwas größerer Entfernung, tritt die vorgefundene Struktur des Ausgangsmaterials in den Hintergrund. Statt dessen dominiert die aufgelegte, eingewebte, die künstlerische Struktur.


Das ist der zweite Faden, den Jutta Obenhuber mit diesen Arbeiten aufnimmt: der Faden der kunstgeschichtlichen Tradition. Er führt zu Piet Mondrian und dessen rechtwinkligem Liniensystem: Flächen und Streifen, die klar horizontal und vertikal angeordnet sind und Rechtecke bilden. Bei Jutta Obenhuber entstehen diese Rechtecke, die Linien und Streifen im Zusammenspiel der – bearbeiteten – Stoffstruktur und der eingezogenen Fäden.


Der Traditionsfaden, der zu Piet Mondrian reicht, ist deutlich, und er ist doch ein spielerischer, leichter. Ein Augenzwinkern ist dabei. So ist es mehr ein Anknüpfen, das vielleicht gerade durch den Traditionsbezug die eigene Formensprache hervorhebt. Denn anders als die Arbeiten Mondrians sind diese Fadenarbeiten nicht streng. Die geometrische, rechtwinklige Gliederung ist zwar durchaus sichtbar, doch aus der Nähe betrachtet, wird sie unscharf, löst sich fast auf. Sie ist der Natur nicht entgegengesetzt, sondern wirkt natürlich, organisch. Auch die Farbwahl entwickelt das strenge Farbschema der Grundfarben weiter, spielt mit ihm, ohne es aus den Augen zu verlieren. Während Piet Mondrian sich schließlich auf die Grundfarben blau, gelb, rot plus schwarz, weiß und grau beschränkte, erweitert Jutta Obenhuber ihre Farbpalette um Mischfarben wie Orange, dazu Türkis oder Rosa. Das Ganze auf einem beige-braunen Untergrund, der natürlichen Stoffarbe des Leinens.


Don’t be afraid…


Einen weiteren künstlerischen Traditionsfaden knüpft Jutta Obenhuber explizit zu Barnett Newman. Mit dem Titel „Don’t be afraid“, den sie dieser Werkschau gegeben hat, verweist sie auf dessen berühmten Zyklus „Who’s afraid of red, yellow and blue?“. Aus der Frage ist eine Aufforderung geworden, eine Ermunterung. Weggelassen hat sie die explizite Nennung der Grundfarben.


Obwohl: In einer ihrer jüngsten Arbeiten, die in den letzten Tagen erst fertig geworden ist, hat sie mit den Grundfarben – wie bei Mondrian erweitert um schwarz und weiß – gearbeitet: Der weiße Stoff hat bereits eingewebte blaue Längs- und Querstreifen. Daß dieser Stoff einmal ein Küchenhandtuch war, ist offenkundig. Es wird nicht verborgen. Auch hier hat die Künstlerin Fäden entfernt und andere hinzugefügt: gelbe, rote, schwarze. Mondrians Farb- und Formensprache auf einem Küchenhandtuch.


Dabei hat dieses ehemalige Küchenhandtuch nichts von der Provokation, die die Einbeziehung des Profanen in Kunst einmal ausmachte. Es ist ein Spiel: Jutta Obenhuber nimmt das „Don’t be afraid“ wörtlich. Sie bezieht es auf sich und ihre Arbeit. Sie erstarrt nicht in Ehrfurcht von den Großen der abstrakten Malerei. Und sie beginnt auch keinen Kampf. Diese Arbeiten sind keine Manifeste, sondern nehmen den Faden auf, spinnen ihn weiter. Das Küchenhandtuch ist damit ein spielerisches Fortführen. Nicht weil es ein Küchenhandtuch ist, wird dieser Stoff verwendet, sondern obwohl – oder ganz unabhängig davon – es ist egal. Der Stoff hat eine Struktur, die Jutta Obenhuber aufgreift, sichtbar macht und zum Ausgangspunkt nimmt. Aus dem Gegenstand wird das in einer poetischen Formensprache entwickelt: immer leicht, mit feinem Pinselstrich, und auch augenzwinkernd, lächelnd.


Etwas Leichtes, Hingetupftes, Spielerisches, kennzeichnet diese Arbeiten. Diesen Eindruck unterstreicht Jutta Obenhuber durch die Farbpunkte, die sie in der Ausstellung zwischen den Arbeiten plaziert: Auch sie waren einmal profane Alltags- und Gebrauchsgegenstände, nämlich Deckel von Flaschen und Gläsern, die hier als Malgrund dienen. Die Künstlerin spielt mit ihnen und dadurch mit Form und Farbe, setzt kleine runde Kontrapunkte und in kräftigen Farben gemalte Farbtupfer.
Das Erforschen der Struktur, das Spielen mit Strukturen, ihr Herausarbeiten und Überschreiben findet sich in vielen Arbeiten wieder. Die vorgefundene Struktur des Stoffes, auch des Deckels, wird durch das Bearbeiten sichtbar gemacht und dabei zugleich verändert und so in Frage gestellt. Der vorgefundenen Struktur wird dann eine künstlerische Struktur aufgelegt – eingewebt, kann man bei den Fadenarbeiten sogar sagen.


So geht Jutta Obenhuber auch bei einer Werkgruppe vor, die auf den ersten Blick ganz anders erscheint. Einfache Holzplatten aus dem Baummarkt sind hier das Ausgangsmaterial. Die natürliche Maserung des Holzes tritt durch die transparente Farbe noch deutlicher hervor und wird in die Bildwirkung integriert. Als eine zweite Schicht hat die Künstlerin einen Siebdruck aufgetragen. Es entsteht das Bild von Zweigen, die sich im Wasser spiegeln, eine japanische Anmutung auch durch die reduzierten Mittel. Das Spiel mit der Struktur, das Zergliedern wird dann noch einmal fortgeführt dadurch, daß das Bild geteilt ist, eine vertikale und eine horizontale Struktur als Zwischenraum aufweist. Die Begrenzung des Bildes verschwimmt. Das Einzelne ist Teil eines Größeren, doch auch dieses ist nicht abgeschlossen. Ein „Puzzle“, hat Juttas neunjähriger Sohn Vincent spontan gesagt. Es könnte genausogut weitergehen. Einen Rand, ein Ende gibt es nicht.


Don’t be afraid…


Ich möchte noch einmal auf den Titel zurückkommen: „Don’t be afraid“. Wie ihre Fadenarbeiten nimmt er etwas Vorgefundenes auf – hier das Zitat von Barnett Newman, das vor allem durch Weglassen verändert wurde. Indem der Hinweis auf die Grundfarben fehlt, hat Jutta Obenhuber auch hier zunächst eine Leerstelle geschaffen und Offenheit hergestellt. Zugleich ist aus dem herausfordernden „Who’s afraid“ ein beruhigendes, versöhnliches „Don’t be afraid“ geworden. Es bleibt die Frage, vor was wir uns nicht fürchten sollen. Denn der Titel ist doch eine Aufforderung an uns, an die Betrachter.


Zu Beginn der 1980er Jahre wirkten Barnett Newmans Arbeiten oftmals provozierend. Viele verstanden nicht, was an monochromen Flächen und Streifen Kunst sein sollte. Von einem Besucher der West-Berliner Neuen Nationalgalerie wurde „Who’s afraid of red, yellow and blue“ 1982 sogar attackiert und beschädigt. Ich glaube nicht, daß Jutta Obenhuber fürchtet, daß überhaupt zu befürchten ist, jemand könne ihre Arbeiten tätlich angreifen.


Ich sehe das „Don’t be afraid“ deshalb als Aufforderung, auch selbst spielerisch diese Arbeiten zu betrachten, meine Gedanken in sie einzuweben, sie ihnen aufzulegen, den Gedanken, die mir bei ihren Bildern kommen, Raum zu geben. Dazu muß ich an dieser Stelle einflechten, daß ich keine Künstlerin bin oder Kunsthistorikerin, sondern Historikerin. Mich interessiert, wie wir die Wirklichkeit darstellen können. Was wissen wir? Was können wir sagen?


In den Arbeiten von Jutta Obenhuber finde ich eine Menge von dem wieder, wie ich die Vorgehensweise von Geschichtswissenschaft verstehe. Mehr noch: Ich glaube, sie sagen auf künstlerische, poetische Weise etwas aus über unser aller Verhältnis zur Wirklichkeit, zur vergangenen und ebenso zur gegenwärtigen. Sie spiegeln unseren Umgang mit der Welt.


Diese Welt finden wir vor: Ereignisse geschehen um uns herum. In den vergangenen Wochen hat sich in Japan hat eine gigantische Naturkatastrophe ereignet und ein Kernkraftwerk wurde zerstört. In China wurde mit Ai Weiwei der international bekannteste Künstler des Landes verhaftet. Noch viel mehr ist passiert und passiert um uns herum. Es passiert gleichzeitig nebeneinander und voneinander entfernt, es passiert nacheinander am gleichen Ort. Wie sind die Ereignisse miteinander verbunden? Welche sind miteinander verbunden?


Um ein Bild entstehen zu lassen, bzw. um eine Geschichte zu erzählen, schaffen wir erst einmal Leerstellen: Wir lassen weg, wählen aus. Schon morgens beim Zeitunglesen: Niemand liest jeden Buchstaben von vorn bis hinten. Würden alle ungelesenen Buchstaben unsichtbar, wiesen unsere Zeitungen erhebliche Leerstellen auf. Wir wählen aus, was wir von den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Nachrichten wahrnehmen und schaffen dadurch eine neue, unsere Struktur. Das Urteil, das sich jeder bildet, wird durch zusätzliche Elemente bestimmt, die wir in sie einweben, ähnlich wie Jutta Obenhuber Fäden der vorgefundenen Struktur einfügt: Vorwissen und Vorurteile, Vorlieben, persönlich Erlebnisse oder Erinnerungen. So entsteht aus dem „Stoff“ erst das „Bild“ – und zwar bei jedem ein anderes. Und dieses Bild ist nicht abgeschlossen, sondern hat, wie die Fadenarbeiten Jutta Obenhubers, ausgefranste Ränder, bietet Anschlußstellen für Weiteres. Zudem verändert es sich. Auch historische Epochen sind nicht „abgeschlossen“, nicht wirklich vorbei, sondern wirken noch lange weiter fort, in Strukturen oder Mentalitäten zum Beispiel. Überhaupt entstehen Epochen erst im Urteil der Betrachter.


Dabei ist uns heute schon die Idee vom „roten Faden“ an sich problematisch geworden. Geschichte ist nicht eine schnurgerade Reihe von Dominosteinen, in der ein Ereignis das nächste bedingt. Nicht nur. Es gibt gegebene Strukturen, Konstellationen und dazu viele Linien von Ereignissen und Handlungen. Sie laufen nebeneinander, parallel oder gewunden, sie überschneiden sich und kreuzen sich. Manches tritt in den Hintergrund, wird überlagert, um möglicherweise an anderer Stelle wieder aufzutauchen.


Und erst durch das Zusammenspiel von Strukturen und Linien, von Ereignissen und Personen als dem Material und einer Fragestellung bzw. einem Interesse, entsteht ein „Bild“. Es muß gut komponiert sein und in sich stimmig, es muß natürlich einen soliden Bezug zum Ausgangsmaterial haben, aber „Wahrheit“ – ist es nicht. Eine historische Untersuchung ebensowenig wie ein Zeitungsartikel, wie die gesamte Zeitung oder wie die Tagesschau – oder wie eine künstlerische Arbeit.


An die Stelle des klar abgegrenzten Gegenstandes, des Abbildes von Wirklichkeit, auch der Idee von Fortschritt und linearer Entwicklung tritt die Offenheit der Struktur, treten gewundene Fäden. Wir haben nicht mehr die Idee, daß die Geschichte einem klaren Verlauf folgt und auf ein uns bekanntes Ziel zusteuert: Weder auf den jüngsten Tag noch auf den Kommunismus. Vom „Ende der Geschichte“ hat Francis Fukuyama deshalb gesprochen. Gemeint hat er, daß uns das klare Ziel der Geschichte abhanden gekommen ist. Das ist natürlich ein Weniger an Geschlossenheit, an fertiger Weltsicht. Die Bilder von Jutta Obenhuber zeigen, wie an die Stelle geschlossener Deutung Raum und Transparenz treten. Daß die Leerstellen keine Fehlstellen sind, sondern eine Chance:

Don’t be afraid

Ich möchte noch einmal auf den Titel zurückkommen: „Don’t be afraid“. Auch dieser ist ja vorgefunden und durch Weglassen verändert. Indem der Hinweis auf die Grundfarben fehlt, hat Jutta Obenhuber auch hier zunächst eine Leerstelle geschaffen und Offenheit hergestellt: Don’t be afraid – Vor was sollen wir uns nicht fürchten?


Denn es ist doch eine Aufforderung an uns, an die Betrachter.


Zu Beginn der 1980er Jahre fühlten sich noch viele von Barnett Newman heftig provoziert. Sie verstanden nicht, was an seinen monochromen Flächen und Streifen Kunst sein sollte. Von einem Besucher der West-Berliner Neuen Nationalgalerie wurde „Don’t be afraid of red, yellow and blue“es 1982 sogar attackiert und beschädigt. Ich glaube nicht, daß Jutta Obenhuber fürchtet, daß überhaupt zu befürchten ist, jemand könne ihre Arbeiten tätlich angreifen.


Ich sehe das „Don’t be afraid“ deshalb als Aufforderung, auch selbst spielerisch diese Arbeiten zu betrachten, meine Gedanken in sie einzuweben, sie ihnen aufzulegen, den Gedanken, die mir bei ihren Bildern kommen, Raum zu geben.
Dazu muß ich an dieser Stelle einflechten, daß ich keine Künstlerin bin oder Kunsthistorikerin, sondern Historikerin.


Mich interessiert, wie wir die Wirklichkeit darstellen können. Was wissen wir? Was können wir sagen?


In den Arbeiten von Jutta Obenhuber finde ich eine Menge von dem wieder, wie ich die Vorgehensweise von Geschichtswissenschaft verstehe. Mehr noch: Ich glaube, sie sagen auf künstlerische, poetische Weise etwas aus über unser aller Verhältnis zur Wirklichkeit, zur vergangenen und ebenso zur gegenwärtigen. Sie spiegeln unseren Umgang mit der Welt.


Diese Welt finden wir vor: Ereignisse geschehen um uns herum. In Japan hat es eine gigantische Naturkatastrophe gegeben und ein Kernkraftwerk ist zerstört. In China wir der bekannteste Künstler des Landes verhaftet. Noch viel mehr ist passiert und passiert um uns herum. Es passiert gleichzeitig nebeneinander und voneinander entfernt, es passiert nacheinander am gleichen Ort. Wie sind die Ereignisse miteinander verbunden? Welche sind miteinander verbunden?


Um ein Bild entstehen zu lassen, bzw. um eine Geschichte zu erzählen, schaffen wir erst einmal Leerstellen: Wir lassen weg, wählen aus. Schon morgens beim Zeitungslesen: Niemand liest jeden Buchstaben von vorn bis hinten. Würden alle ungelesenen Buchstaben unsichtbar, wiesen unsere Zeitungen erhebliche Leerstellen auf. Wir wählen aus, was wir von den politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Nachrichten wahrnehmen. Das Urteil, das sich jeder bildet, wird durch zusätzliche Elemente bestimmt: Vorwissen und Vorurteile, Vorlieben, persönlich Erlebnisse oder Erinnerungen. So entsteht aus dem „Stoff“ bei jedem ein anderes „Bild“. Und dieses Bild ist nicht abgeschlossen, sondern hat ausgefranste Ränder. Zudem verändert es sich. Auch historische Epochen sind nicht „abgeschlossen“, nicht wirklich vorbei, sondern wirken noch lange weiter fort, in Strukturen oder Mentalitäten zum Beispiel. Überhaupt entstehen Epochen im Urteil der Betrachter.


Der Historiker erzählt nicht „die Wahrheit“, sondern eine komponierte Geschichte. Geschichtswissenschaft ist auch Literatur, und mit Theodor Mommsen hat immerhin einmal (1902) ein Historiker den Literaturnobelpreis erhalten. (Leider ist nicht alle historische Literatur gut geschrieben). Und natürlich darf der Historiker die Geschichte, seine Geschichte nicht erfinden, sonst wäre es ja ein Märchen. Sie gründet auf vorgefundenem Material, muß „stimmen“ bzw. plausibel sein, muß im Material, im Stoff begründet sein. Dennoch ist der Erzählfaden nicht vorgegeben. Dieser muß vielmehr vom Historiker eingewoben werden. Wann beginnt eine Entwicklung? Wo sind Zäsuren? Was sind wichtige Ereignisse? Welche Themen sind es wert, untersucht zu werden? Was ist interessant und spannend? All das sind Bewertungen, die der Historiker vornimmt, Urteile, die er fällt und Strukturen, die er dem Material aufprägt. Gleiches gilt für den Journalisten und für jeden von uns.


Dabei ist uns heute schon die Idee vom „roten Faden“ an sich problematisch geworden. Geschichte ist nicht eine schnurgerade Reihe von Dominosteinen, in der ein Ereignis das nächste bedingt. Es gibt gegebene Strukturen, Konstellationen und dazu viele Linien von Ereignissen und Handlungen. Sie laufen nebeneinander, parallel oder gewunden, sie überschneiden sich und kreuzen sich. Manches tritt in den Hintergrund, wird überlagert, um möglicherweise an anderer Stelle wieder aufzutauchen.


Und erst durch das Zusammenspiel von Strukturen und Linien, von Ereignissen und Personen als dem Material und einer Fragestellung bzw. einem Interesse, entsteht ein „Bild“. Es muß gut komponiert sein und in sich stimmig, es muß natürlich einen soliden Bezug zum Ausgangsmaterial haben, aber „Wahrheit“ – ist es nicht. Eine historische Untersuchung ebensowenig wie ein Zeitungsartikel, wie die gesamte Zeitung oder wie die Tagesschau.


An die Stelle des klar abgegrenzten Gegenstandes, des Abbildes von Wirklichkeit, auch der Idee von Fortschritt und linearer Entwicklung tritt die Offenheit der Struktur, treten gewundene Fäden. Wir haben nicht mehr die Idee, daß die Geschichte einem klaren Verlauf folgt und auf ein uns bekanntes Ziel zusteuert: Weder auf den jüngsten Tag noch auf den Kommunismus. Vom „Ende der Geschichte“ hat Francis Fukuyama deshalb gesprochen. Gemeint hat er, daß uns das klare Ziel der Geschichte abhanden gekommen ist. Das ist natürlich ein Weniger an Geschlossenheit, an fertiger Weltsicht. Zugleich schafft es Raum und Transparenz, es ist eine Chance:
Don’t be afraid









Andreas Schlaegel


Das Bild, der flache Grund


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Die vom Vaterfigur der modernen Malerei Clement Greenberg ausgegebene Doktrin der „flatness“, machte die Ansprüche der Moderne an Malerei ausgerechnet an der anscheinend „oberflächlichsten“ Eigenschaft von Gemälden fest: ihrer Flachheit. In seinem Essay „Modernist Painting“ fasste er dies nonchalant zusammen: „Die Betonung auf der unvermeidlichen Flachheit des Bildträgers blieb fundamental für den Prozess, nach dem sich bildende Kunst in der Moderne kritisch reflektiert und definiert.“

Indem er sie mit ihrer Oberfläche gleichsetzte, raubte er der Malerei die Tiefe, im negativen Umkehrschluss, dass nur da wahre Tiefe zu entdecken sei, wo das Oberflächliche, als indisputabler Fakt des Bildes angenommen werde. Die Oberflächlichkeit war ebenso Fakt wie Forderung, das Malen wurde zum Anstreichen einer Fläche reduziert, bar jeder Spur von Persönlichkeit.


Zugunsten einer immer totaleren Abstraktion, die in der monochromen Malerei von Künstlern wie Ad Reinhardt bis Robert Motherwell ihren stärksten Ausdruck fand, wird das Bild auf die Oberfläche beschränkt. Diese reduzierende Programmatik war zwar wirkungsvoll, und erschein historisch stringent, indem sie sich auf Kasimir Malewitsch berief, war aber letztlich kurzlebig: nur wenige Jahre nachdem sie formuliert worden war, sprengten die Praxis von Konzeptkunst und Performance die Grenzen dessen, was man bisher als Kunst verstanden hatte. Spätestens damit geriet die Malerei als Medium der Avantgarde ins Hintertreffen, das Konzept einer Avantgarde an sich löste sich auf, ebenso wie die Vorstellung einer verbindlichen Moderne.


Die Vorstellung jedoch, dass die Aufgabe der Kunst auch darin liege, das künstlerische Medium zu grösstmöglicher Klarheit zu führen, ist gerade in der Malerei auch heute noch reizvoll. Wenn deren essenzielle Qualitäten, die plane Oberfläche, der Umriss des Bildträgers und die Eigenschaften der Farbstoffe gerade in monochromen Arbeiten klar und deutlich hervortreten, dann lässt sich daran das Potential dieses intellektuellen Gegenentwurfs zum illusionistischen Raum ablesen, der den bildnerischen Raum auf neue und konkrete Weise auffasst. Gleichwohl zweidimensional ist er einerseits quasi-skulptural, und verleiht der Bildfläche unmittelbare Präsenz, stellt sie als totales Objekt dem sie umgebenden Ausstellungsraum gegenüber, der mit dem gesellschaftlichen Raum zusammenfällt. Die Kunst tritt nicht über den Umweg einer Geschichte, sondern direkt, unmittelbar und frontal mit ihrer Wirklichkeit in einen Dialog.


Frage


Kann man auf der Basis dieses Dialogs eine neue moderne Malerei denken? In der das Bild materielle Oberfläche ist, Teil einer realen Welt, ohne dabei selbst zu einem immateriellen, transzendenten Ort zu werden, zur quasi-religiösen „Chapel“-Installation Rothkos oder zum existentiellen kulturellen Pessimismus Ad Reinhardts? Und ohne dabei in Retro-Fragestellungen oder Ironie abzugleiten?


Jutta Obenhuber, Andreas Exner und Herbert Warmuth nähern sich den Errungenschaften der Moderne zwar über verschiedene Koordinatensysteme an, aber über eine vergleichbare radikale Fragestellung, die an Begriffspaaren wie Bildträger/Bildoberfläche, Figur/Grund oder Motiv/Abstraktion aufgespannt wird. Vor allem aber verbindet sie das Anliegen einen Bezug ihrer Kunst zur sie umgebenden Welt zu finden, und gerade dadurch nicht nur zu einer aktuellen Lesart sondern zu individuellen Lösungen vorzustossen. Wie bei jeder Kunst ist auch in ihrer Malerei der Regelbruch ein wesentlicher Bestandteil, denn über diese Fantasie nicht auf eine höhere Erlaubnis angewiesen zu sein, entsteht der Kontakt zum Betrachter, wenn plötzlich Dinge auftauchen, die über gängige Vorstellungen nicht in die Malerei gehören. Wenn die neuen Wege nur durch Behauptungen abgesteckt werden können, man wisse, was man zu tun habe.


In den Arbeiten dieser Künstler finden sich die Ergebnisse einer erweiterten Malerei, die flüchtig wird, in den Bildträger hineinspringt, sich über ihn hinaus ausdehnt, und gängige Vorstellungen von der formalen Einheit des Bildes zurücklässt. Vielmehr stellt das Bild eine erstaunlich theatralische Arena dar, für ein Drama, in dem vermeintlich Selbstverständliches in frage gestellt wird, innen und aussen, oben und unten, vorne und hinten - und letztlich Räumlichkeit und ihre Ordnungssysteme bis in den profanen Bereich des Alltäglichen verhandelt werden. Dazu bricht diese Malerei mit jeder modernistischen Vorstellung eines absoluten, essenzialistischen und asketischen Malens. Die Künstler knüpfen in ihren Arbeiten beispielsweise über Ähnlichkeiten, die Wahl symbolisch eingesetzter Farben oder Materialien, Berührungspunkte und fordern auf diese Weise ein, was der streng formalistischen Ansatz Greenbergs ihr abgerungen hatte, und beanspruchen die pragmatischen, semantischen und syntaktischen Möglichkeiten der Malerei für sich.


Derart von der dogmatischen, beinahe entmündigenden Kunstauffassung emanzipiert, wird es ihnen möglich eine Bresche zu schlagen, die neue Räume möglich macht und Lesarten nahelegt. Wie in den „Fahnen“- Arbeiten Herbert Warmuths, drei- oder vier-teilige Objekte, die angelehnt an dynamisch im Wind wehende Flaggen malerische Möglichkeiten durchdeklinieren. Wie in Umkehrung des von Raymond Pettibon entworfenen Logos der legendären Westküsten-Hardcore Band Black Flag, das mit vier vertikalen Balken graphisch eine fliegende, schwarze Anarchistenflagge darstellt, sind Warmuths Flaggen diffizile Gebilde, und von komplexer Farbigkeit. Die her gezeigten Arbeiten sind in unterschiedlichen Weisstönen gehalten, mit diskret farbigen Rändern oder Details, und erinnern damit eher an weisse Flaggen, die in Momenten extremer Anspannung als Symbol der Verhandlungsbereitschaft oder der Kapitulation gehisst werden. Kombiniert aus einzelnen, unregelmässig geformten rechteckigen Bildobjekten, die individuell gestaltet sind: monochrom bemalt, mit deutlichen Pinselspuren, oder als trompe l‘oeil Malerei eines sich im Wind blähenden Flaggenausschnitts. Oder mit Stoff überzogen, dessen Nähte, Knöpfe, Flecken auf eine ursprüngliche Funktion des Stoffes verweisen, denn hier verwendete der Künstler eigene, getragene Hemden. Über diesen konkreten Bildträger verbindet sich die Narrative der Moderne, ebenso überraschend wie verbindlich mit der Person des Künstlers, wie die sprichwörtliche weisse Weste mit dem Motiv der Verhandlungsbereitschaft.


Dialog


Damit findet eine Subjektivität, Direktheit und Spontaneität ihren Weg in das Bild und eröffnet genau da einen Bild- und Deutungsraum, wo das Gemalte sich als Ding verdichten sollte (wodurch sich der Bildinhalt, beinahe wie in der byzantinischen Kunst, ins Transzendente verschob), und die Bühne, die jede narrative Form der Malerei dem Auge des Betrachters bietet auf eine einzige Ebene zusammenzieht

An diese Bühne, deren Raum eine Reflektion der Welt des Betrachters darstellt, und mit dem er sich identifizieren kann, knüpfen Warmuth, Obenhuber und Exner an.


Statt einer Bühne entsteht hier ein Sprungbrett ins Bild, das einen konkreten Dialog ermöglicht, auf der Basis einer Kultur, die Künstler und Betrachter teilen. Dadurch schliessen sich sogleich auch Bildwelten, Wörter und Diskurse an diese Gedanken an, rütteln an Grundannahmen, an den Bezugssystemen, auf denen sie beruhen, und stellen damit Strukturen der Macht in Frage. Denn diese Strukturen und Bezüge können als eine Art Regelwerk verstanden werden, das festlegt, wer sich wie und mit welchen Mitteln artikulieren darf, und welche Ausdrucksformen angebracht sind. Unter dem Aspekt der ideologischen Prägung bildnerischer Darstellung und der Repräsentation von Wirklichkeit, ergibt sich hier ein semiotischer Hintergrund, vor dem diese Werke betrachtet werden können.


Daher wird die Leinwand nicht als sprichwörtliche Projektionsfläche eingesetzt, der Bildgrund steht als Objekt für sich. Die rationale Klarheit des Bildes gilt es zu bewahren, ohne dabei in existentialistische Pathosformeln zu verfallen, während die von Greenberg vernachlässigten Materialität des Bildträgers, Räume öffnen, die (der von Greenberg weitegehend ignorierte) Frank Stella, als „working space“ des Malers bezeichnete. Lucio Fontana durchschnitt die Leinwände, um die verlorene Tiefe im Bild wieder zu finden, eine Geste,die die Materialität der Leinwand ebenso akzeptiert wie negiert. Das Bild taugt nicht mehr als Instrument einer visuellen Aneignung der Welt, wohl aber als Instrument zur Darstellung eines intellektuellen Prozesses, der sich im realen Raum abspielt. Auch Jutta Obenhuber unternimmt eine künstlerische Reise in die Oberfläche des Bildes hinein,und spannt den Raum zwischen Farbe und Leinwand auf. Sie verlagert die „Bühne“ in das Material ihrer Fadenarbeiten, die aus ausgeschnitten, auf Holz getackerten, rohen und unbehandelten, graubraunen Leinwänden bestehen. Aus deren Gewebe zieht sie einzelne Fäden heraus, und untergräbt so die Struktur des Bildträgers, als ob im Gewebe der Leinwand das aller abstrakter Malerei zugrundeliegende kompositorische Raster auflösen wolle. Obenhuber arbeitet im Gewebe weiter, indem sie leuchtend farbige Fäden oder Garne aus glatter Baumwolle, schimmernder Seide, oder üppiger Rohseide, in das destabilisierte Gewebe wieder hineinzieht, allerdings locker, „in einer anderen Geschwindigkeit“, und dadurch im Gewebe selbst ein neues Bild produziert: ein lässiges, fröhlich regenbogenfarbenes Kreuz, das sich aus der Webart ergibt.

In einer anderen Werkgruppe trägt sie zunächst möglichst gleichmässig dünne Farbschichten auf Aluminiumtafeln auf, um sie anschliessend mit feinstem Schmirgelpapier wieder freizulegen, und halluzinatorisch weiche, surreale Farbwolken von eigentümlicher Schwerelosigkeit und Immaterialität zu erzeugen, die sich jeder weiteren Festlegung verweigern, und keine Ordnung kennen. Ähnlich wie die kleinen, bemalten runden Deckel von Marmeladengläsern, die die Künstlerin dazu einsetzt, die anderen Arbeiten auf der Wand zu dynamisieren. Ebenso klar geometrisch, wie diese, erscheinen sie aufgrund ihrer Form, Größe und Hängung wie Messpunkte oder Spielsteine eines räumlichen Spiels, sie erzeugen eine Unwucht, wie einem anderen Ordnungssystem zugehörig, und stellen damit das rigide Raumgefüge, die Horizontalen und Vertikalen des white cube in Frage, und damit einer Sehkonvention die von einer aufrecht stehende Person ausgeht, die ihre Entsprechung nicht nur in der dominierenden äusseren Form von Gemälden, sondern auch im Raster des Gewebes der Leinwand findet.


Fenster


Betrachtet man Malerei weniger als eine künstlerische Strategie, die sich aus einem obsoleten Handwerk oder Akademismus ableitet, sondern als einen Prozess der Bildfindung, der ein Maximum an Autonomie erlaubt, dann wird ihr Potential deutlich. Handelt es sich hier nicht um eine Disziplin, die auf besonders transparente Weise Kunst als Praxis der kontinuierlichen Entscheidungsfindungen abbilden kann?


Gerade In der Malerei kommt es darauf an, immer das zu tun, bei dem man den gängigen Konventionen nicht auf den Leim geht: denn in der Malerei wirkt jeder Strich, jeder Fleck, der diesen folgt, auf eine Verfestigung einer dominierenden, einschränkenden Vorstellung von Kunst hin. Stattdessen bestehen ihre Möglichkeiten gerade darin, daran mitzuwirken, eine Sprache der Möglichkeiten und der Vermittlung zu schaffen, die Ideen nicht als restriktiv oder normativ festlegt, oder in anderer Weise die Interpretation zu regulieren versuchen.


Die „angewandte monochrome Malerei“ Andreas Exners bringt diese Problematik auf den Punkt. Seine Bilder sind perfekt in ihrer Flachheit, allerdings hängen die bepinselten Sperrholzplatten nicht an der Wand, sondern wurden vom Künstler einigermassen passgenau in die offenen Fenster alter Gebrauchtwagen eingepasst. Damit demontiert der Künstler zwar die perfekten Linien der Automobilchassis, und verschliesst den Ausblick, das Fenster zur Welt mit seiner „shaped canvas“. Gleichzeitig vervollkommnet er das Fahrzeug so zu einem hybriden Kunstwerk. Nunmehr ohne Funktion sitzt es quasi zwischen den Stühlen, es ist nicht ganz klar ist, ob es sich nun um eine geschlossene Skulptur handelt, oder ob der Wagen nicht vielleicht eher einen absurd ausladenden, konkreten Rahmen für das sehr abstrakte Bild darstellt. Dessen Farbe, die nicht exakt der des Wagens entspricht, sondern eine Annäherung gewählt nach der Palette eines grossen Künstlerfarbenherstellers, taucht an anderer Stelle wieder auf. Wie ein Grafitti, und mit der ganzen Autorität ihres Namens hat der Künstler: „Schminke Akademie Vandyckbraun“ geschrieben, als versuche er die Macht der Farbe zu beschwören. Dabei verweist die Nennung des Namens doc auch darauf, dass es sich bei ihr auch nur um ein bestimmtes, industriell hergestelltes Material handelt.


Grund


Die Arbeiten von Exner, Obenhuber und Warmuth stehen für eine befreite Malerei, die vom analytischen Blick der Künstler auf die Rahmenbedingungen der eigenen Tätigkeit, von der Stofflichkeit des Materials zum Überbau eines kunstgeschichtlichen Bezugssystems, und einer unverkrampften Annäherung an diese Wirklichkeit profitiert. Die Spannungen, die sich in den Arbeiten ergeben, entstehen aus klar definierten und nachvollziehbaren, aber auch mehrschichtig lesbaren Werkprozessen, die faktische Flachheit auffächern und gegen symbolische (Un-)Tiefen ausspielen. Dabei geht es ihnen nie darum etwas zu entlarven, sondern mit ihrer klaren, radikalen Formensprache und, um einen Begriff aus der Medizin auszuleihen, mit minimal-invasiven Eingriffen die Sichtbarkeit des Vorhandenen zu unterstreichen. Gerade weil sie Kunst, als auch die Realität, die sie reflektiert, als veränderbar, aber auch als vergänglich und temporär, also ambivalent interpretierbar zeichnen, zeigen sie neue Wege auf, wie man die Dinge sehen kann, und lassen Veränderungen denkbar erscheinen. Dass sie dabei auf die klassischen Mittel der Malerei zurückgreifen, auch wenn sie diese gegen den Strich bürsten, und konträr zu traditionellen Lesarten einsetzen, macht deutlich, welches Erneuerungspotential diese Disziplin der Oberfläche hat.









Julia Weigl


Eröffnungsrede 1.4.2011


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Flächen gestalten,
Flächen strukturieren,
Flächen eine Bedeutung geben.
Das ist Malerei.
Das alles kann Malerei sein und noch viel mehr.
Was also noch? Was ist Malerei? Was ist Malerei im 21. Jahrhundert?

Was ist Malerei für Menschen, die fast alles schon gemalt gesehen haben, von Marc Rothkos ruhigen Farbfeldern über Jackson Pollocks ultimative Expression aus Farbtuben bis hin zu Courbets L'origine du monde, der dem Voyeur sich hingebenen Scham, sinnlich, wirklich, echt.
Was ist Malerei?

Die zwischen Sozialistischem Realismus und Pop Art changierenden Werke etwa eines Neo Rauch fallen mir ein, wenn es um die Malerei im 21. Jahrhundert geht. Tatsächlich hat die Neue Leipziger Schule dem Gemälde an und für sich in der Rezeption von Kunst zu einer gewissen Renaissance verholfen. Und vielleicht war das einer der Gründe dafür, weshalb sich drei ehemalige Frankfurter Komillitonen, drei ehemalige Städelschüler auf eine neue Suche nach Bedeutung und Sinnhaftigkeit der Malerei machten. Im Katalog von Jutta Obenhuber, Andreas Exner und Herbert Warmuth nennt Kunstkritiker Andreas Schlägel ihre Malerei einen „intellektuellen Gegenentwurf zum illusionistischen Raum, ohne Ablenkung, ohne Narration. Hier tritt die Kunst frontal und unmittelbar mit der Wirklichkeit in einen Dialog“, schreibt er.


Ma-ma-malerei skandieren Jutta Obenhuber, Andreas Exner und Herbert Warmuth.


Ma-ma-malerei titeln sie ihren Katalog. Das klingt nach Aufbruch, nach Bekenntnis oder nach einem Echo aus allen Himmelsrichtungen.


Tatsächlich verdichten sich in ihren Auffassungen von Malerei alle möglichen Malrichtungen – und, sie lösen sich wieder auf. Obenhuber, Exner und Warmuth sind angetreten, der Malerei auf den Grund zu gehen, ihre Grenzen auszuloten, sie malend zu ergründen, das Wesen der Malerei von ihren Rändern her zu erfassen. In ihrer Annäherung an das Wesentliche in der Malerei wählten die drei völlig unterschiedliche Wege, den dekonstruktivistischen, den monochromen und den illusionistischen, um Ihnen fürs erste eine grobe Abgrenzung vorzunehmen.

Ich beginne mit Herbert Warmuth, weil ich ihn am längsten kenne und weil er seine Art zu Malen so beschreibt, als würde er die Welt erklären. Warmuth über Warmuth: „Es geht um Konstruktion einer Art Gesamtheit, Patchworkidentität, um Überbrücken der Parcellierung, Integration von Brü¬chen, Schnitten, scheinbaren Widersprüchen, um Beziehungen zwischen den Einzelteilen. Genauso aber geht es mir um eine aktuelle Form des Malens, und dabei um ein komplexes, aber dennoch möglichst selbstverständliches Bild.” – Brüche, Schnitte, scheinbare Widersprüche.



Was Warmuth meint, verdeutlichen seine Fahnen, die aufscheinen wie eingefrorene Augenblicke zwischen Pathos und Illusion, Bewegung und Erstarrung. Mit den Resten getragener Hemden und Schlafanzüge überzogene und bemalte Holzplatten geben in all ihrer vordergründigen Abstraktheit den Blick frei auf eine Bildergeschichte zwischen geblähtem Segel und stolz geschwellter Brust, abgebildet mit und auf Stoffen, die der Künstler selbst einmal am Leib trug. Welche Falte ist nun gemalt? Welche wirft der aufgebrachte Stoff?


Das erschließt sich erst auf den zweiten Blick, hier im Raum, in rot und weiß.


Zwanzig Jahre später habe ich Jutta Obenhuber kennengelernt, die erst der Farbe und dann dem Malgrund selbst zu Leibe rückte. Beides, um dem Wesen der Malerei, ihrer Malerei, nachzuspüren und zu begegnen; beides, um eine neue Form der Malerei zu entwickeln, eine ganz und gar zeitgemäße.


Jutta Obenhuber wählt den Weg der Dekonstruktion, um eine neue Form der Malerei zu finden. Ohne Zögern und mit der Entdeckungsfreude eines Kindes macht sie sich an den Malgrund, an die rohe, ungrundierte Leinwand, sieht, wo Kette und Schuss sich kreuzen, löst Verbindungen auf, bricht Strukturen …


Die Leinwand wird fragil, verliert ihre textile Stabilität, bis Jutta Obenhuber einen Teil der entfernten Fäden ergänzt. Mit bunten Garnen und Litzen “malt” sie in der Leinwand, gestaltet diese Fläche mit Farben neu. Sie selbst sagt über ihre Kunst: “Mich interessiert der Auflösungsprozess und ob in diesem Auflösungsprozess auch wieder Malerei entstehen kann.”


Jutta Obenhuber löst auf und gestaltet im Prozess des Reparierens. An manchen Stellen bleibt der Rupfen brüchig. Ihre Bilder nennt sie Fadenbilder. Sie bilden eine besonders starke und sehnsüchtige Verbindung zu den bemalten Deckeln. Das sind die Satelliten der Fadenbilder und könnten Malerei kaum kompakter darstellen.


Andreas Exners Kunst kenne ich erst seit ein paar Monaten, den Künstler selbst seit gestern. Ihn nenne ich den Monochromen im Trio Warmuth, Obenhuber und Exner. Er führt Funktionen durch eine neue Flachheit ad absurdum. Er hat mit monochromen Augenklappen für Oldtimer experimentiert und ebenso Kleidungsstücke ihrer Funktion beraubt, indem er ihre Einstiegslöcher mit farblich fein abgestimmten Stoffstücken zugenäht hat. Karrosserieformen setzte Exner in von der Decke baumelnde Riesenunterhosen um – soweit zu seiner humorigen Attitüde.


Was uns Andreas Exner jedoch hier im Schaufenster vorstellt, ist ein ganz anderer Reflex auf die Malerei, ein anderer Aspekt von flach und monochrom.


Während auf der einen Seite die Natur selbst malt und Maserungen von Ahorn, Kiefer, Zirbel, Nussbaum, Birke, Eiche, Buche oder Akazie in rechteckigen Ausschnitten zeigt, präsentiert die Kehrseite ebenso ausschnitthaft Hinweise auf die Rezeption von Kunst. Als pars pro toto verweisen Plakatausschnitte auf urbane Kommunikation im bürgerlichen Kulturbetrieb und nähern sich noch einmal ganz anders den vielen anderen Auffassungen von Malerei. Wir rekonstruieren Ernst Ludwig Kirchner, Rembrandt, David Hockney, Viktor Vasarely, Sandro Boticelli, Alexej von Jawlensky und und und.


Ich wünsche Ihnen viel Spass mit der Malerei von Herbert Warmuth, Jutta Obenhuber und Andreas Exner.
Viel Erkenntnis bei der Begegnung mit Ihrer Kunst und Danke für Ihre Aufmerksamkeit.









Dr. Maren Lickhardt


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Die Fadenleinenarbeiten von Jutta Obenhuber


„[U]ns beruhigt […] die Aufreihung alles dessen, was […] geschehen ist, auf […] jenen berühmten «Faden der Erzählung» […] Ulrich bemerkte nun, daß ihm dieses primitiv Epische abhanden gekommen sei, woran das private Leben noch festhält, obgleich öffentlich alles schon unerzählerisch geworden ist und nicht einem «Faden» mehr folgt, sondern sich in einer unendlich verwobenen Fläche ausbreitet.“

Robert Musil

Die Vision des Dichters, eine Fläche von Stoffen und deren Verflechtungen plastisch vorzuführen, scheitert fast notwendig, weil Dichtung ihr Nacheinander erzwingt, das als erzählerischer Faden abgerollt wird. Jutta Obenhubers Arbeiten sind plastisch und flächig, und doch lassen sie sich lesen. Die Leinwand selbst wird als Textur aus Stoff gezeigt. Auf und in dieses Gewebe werden verschiedene Fäden geflochten. Sie tauchen auf, nehmen ihren Verlauf und verschwinden. Jeder Faden und ihr Zusammenspiel hat sein Leben, seine Bewegung, sein Motiv. Stoffe verdichten sich als Textur, die sich auf einen Blick ebenso lesen lässt wie im Verfolgen einzelner Fäden. Das Leben wird als verwobene Fläche erzählerisch ausgebreitet, und bei aller Klarheit lassen Obenhubers Arbeiten Freiräume, wo die Dichtung Vorgaben macht.









Dr. Klaus Gallwitz


Unterbrechung in Frankfurt


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Ein kühler Tag mit Regenschauern im September. Sie hatte in Wiesbaden einen funkelnagelneuen Leihwagen bekommen, quietschgelb, und mich, verspätet, am Frankfurter Hauptbahnhof in Empfang genommen. Nichts paßte an diesem Vormittag zusammen, und doch ging alles wie am Schnürchen. Eine Viertelstunde später standen wir in ihrem Atelier. Jetzt erst erinnerte ich mich an das alte Kontorhaus, an die Fensterwand zur Straße, das graue Tageslicht und die karge Ausstattung. Ich war einige Jahre nicht hier gewesen und sah mich nun um.


Jutta Obenhuber ließ mich keine Verlegenheit spüren. Ihre Stimme, noch immer vertraut, verhalf mir in die Gegenwart, überbrückte den Zeitraum und gab mir zu verstehen, was ich an den Wänden und auf dem Tisch sah: ihre Arbeiten aus letzter Zeit. Aus Venedig hatte sie Fotos vom Kanal von Murano mitgebracht, Aufnahmen des bewegten Wassers mit öligen Schlieren, eine flutende Bildfolge, von der Ufermauer oder der Reling des Vaporetto aus gemacht.


Da sind die Lackbilder auf Aluminium, die Schicht für Schicht aufgetragen und vorsichtig Schicht für Schicht wieder abgeschliffen werden, ähnlich wie der Blick den Ölfilm auf der Wasseroberfläche hier und dort durchdringt, bevor sich eine neue Ebene darüber zieht und das Changieren der Farben von der letzten Malschicht überdeckt wird. Konfigurationen entstehen und vergehen. Man kennt das Phänomen: Im Auf- und Abtauchen verändern sich unaufhörlich die eingefärbten Licht- oder Schattenflecken.


Eine ähnlich unauffällige stetige Bewegung zieht sich auch durch die Textilarbeiten. Aus dem rohbelassenen Gewebe werden behutsam Fäden entfernt, horizontal wie vertikal herausgezogen, und hier und dort durch andere ersetzt. Manche sind eingefärbt, andere teilweise bemalt oder auch naturbelassen. Die Textur der unbearbeiteten Fläche hat die Funktion einer entspannten Membran. Alle Fadenleinbilder ähneln sich darin. Durchzogen und überquert werden sie von farbigen Spuren, unterschiedlich in Abstand und Dichte, die sich wagerecht und senkrecht kreuzen, das Gewebe durchziehen und deren Verlauf, mal sichtbar, mal unsichtbar, ein Netz sich durchdringender Bewegungen ergeben. So werden auch Teppiche geknüpft.


Jutta erklärt ihre Vorhaben mit lebhaften Worten, als befänden wir uns in einem Labor für Wahrnehmungsphysiologie. Die sogenannten Deckelarbeiten mit ihren meist geometrischen Mustern übernehmen auf der Atelierwand die Funktion von Vermessungspunkten in der Landschaft. Die kreisrunden, teils auch quadratischen Dosen- oder Verpackungsdeckel verteilen sich frei und scheinbar willkürlich als gemalte Signale zwischen den Bildern. Und schließlich sind da noch die Zeichnungen und Pinselarbeiten, Tuschen und Aquarelle, allein durch ihr Medium am Wasser angesiedelt.


Hier hängt die Produktion der jüngsten Zeit, ein wenig in der Art von gesammeltem Treibgut, das sich nach Größe, Material und Gewicht wie von selbst sortiert hat. Über die neuen Fadenleinbilder beschreibt die Malerin in einem Brief an Markus Lepper ihre Wahrnehmung: „Teile der Pinselstriche verschwinden, gehen verloren, andere kommen unerwartet an die Oberfläche. Wie die Erinnerungen.“ Das ist ein Schlüssel zu ihren Bildern.


Dr. Klaus Gallwitz
ehem. Direktor Städelmuseum









Markus Lepper, KV Giessen


Farben in Käfigen und Volieren


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„Ich betrachte die zuckenden Blitze von Smaragd und Rubin und Topas durch den feinen Maschendraht: Tupfer von reiner Farbe, die fast zu schnell für das Auge vorbeihuschen und hinter Laubvorhängen verschwinden. Weiter hinten kommen die Paradiesvögel in großen Kuppelvolieren, so dicht voller Vegetation, dass sie dem Blick fast undurchdringlich erscheinen.“


Diesem jugendlichen Leseerlebnis sei geschuldet, ein wenig naiv in die Betrachtung der Malerei von Jutta Obenhuber einzuführen. Nach meinem Besuch in ihrem Atelier fühlte ich mich daran erinnert, wie der Protagonist des Romans, der seiner großen Liebe hinterher jagt, sich der Betrachtung von Vögeln hingibt: Flirrendes Kolorit, ein Ineinander von Figuren und Farben, Sensationen wie im Dschungel.


In den Pinselarbeiten, die Jutta Obenhuber seit 2003 anfertigt, ist auch alles gleichzeitig sichtbar. Ein unüberschaubares Geflecht aus Pinselspuren stark verdünnter Farben, die durch ständige Überlagerung immer dichter werden. Die Strukturen sind offen gelegt, es strotzt nur so vor Lebendigkeit und Energie und doch schrecke ich als Betrachter vor diesem Angebot zurück. Die visuelle Fülle ist überwältigend, es gibt keine Komposition an der ich mich orientieren kann, ich werde immer wieder aus dem Bild heraus geworfen.


„Erst die Unzahl der nicht mehr wahrnehmbaren Pinselstriche gibt den sichtbaren Pinselstrichen ihren Halt und ihre Berechtigung. Sonst wären sie lächerlich und oberflächlich“, schreibt mir die Künstlerin in einem Brief.


Zunächst gibt es im Bild außer der Farbigkeit eines tropischen Urwaldes und den Pinselschwüngen, die man als ausgewogen und melodisch bezeichnen kann, keine Haltepunkte. Doch tritt der Betrachter an das Bild heran und verfolgt einen Pinselstrich, der abtaucht und an einer anderen Stelle wieder emporkommt und sich durch unterschiedliche farblichen Gegenden und Texturen windet, so ist in der Anerkennung dieser Details eine Lesart des Dickicht möglich, die sogar in die Tiefe führt. Jackson Pollock (1912 – 1956) war von der Idee motiviert, in der Malerei nicht ständig wiederholen zu wollen, was bereits bekannt war. Er stach Löcher in Farbdosen oder schwenkte Pinsel über die am Boden liegenden Leinwände.


Für die Entstehung des Action-Paintings mögen der Reiz am Zufall und die Betonung der aktionistischen Geste gleichermaßen wichtig gewesen sein. Lediglich der Herstellungsprozess wurde in die Oberfläche seiner Bilder eingeschrieben, und er war mindestens so wichtig wie das Produkt selbst.


Mit dieser Malerei war es nicht nur möglich geworden, traditionelle Methoden des Bildaufbaus zu vermeiden sondern auch, ein anti-hierarchisches Bildfeld zu schaffen. Das all-over ist horizontlos und es gibt weder oben und unten, noch vorne und hinten. Alle Elemente sind gleichzeitig und gleichberechtigt – wie in den Pinselarbeiten von Jutta Obenhuber.


Was die beiden malerischen Positionen allerdings voneinander unterscheidet, ist ihr Verhältnis zum Faktor Zeit. Während Pollock die aktionistische Geste als eine Art ‚Momentaufnahme’ in den Vordergrund rückt, schichtet und verdichtet Obenhuber viele dieser Momente in ihren Arbeiten. Die Entstehung ihrer Bilder verläuft sehr viel reflektierter und die notwendigen Trocknungsphasen erfordern und ermöglichen immer wieder einen neuen Einstieg in Malerei.


Die Illusion der Tiefe auf der Leinwand ist ein zentrales Thema der malerischen Auseinandersetzung Obenhubers und kein zufälliges Resultat tropfender Farbe.


Deshalb gibt es auch narrative Strukturen in diesen Bildern, die von einer Malerei erzählen, welche auf ihre wesentlichen Aspekte bezogen ist: Farbe, Pinsel und Farbauftrag.


„Teile der Pinselstriche verschwinden, gehen verloren, andere kommen unerwartet an die Oberfläche. Wie die Erinnerungen.“

Vögel gehören weder unfrei in Käfige, noch scheinfrei in Volieren. Ist aber nicht, wenn man ein anderes Bild bemüht, die Leinwand für die Farbe etwas Ähnliches, wie der Käfig für den Vogel? Richtet nicht ein Tafelbild (ebenso wie ein Käfig) den Blick auf ein strukturiertes Feld farbiger Erscheinungen der Natur? Oder anders gefragt: Weshalb gehören Farben nicht nur in einen Garten?


Monet und der Spiegel der Natur


„Ich habe mir wieder die unmöglichsten Dinge vorgenommen: ich versuche Wasser zu malen, in dessen Tiefe Pflanzen wogen. Das ist schön anzusehen, aber beim Versuch es umzusetzen, wird man verrückt. Immer muss ich mich auf solcherlei einlassen!“ Einer der beliebtesten Maler von Blumen und Gärten war Claude Monet (1840 – 1926). Die Kunstgeschichte hat seine Seerosen längst als abstrakte Farbteppiche bezeichnet und in ihnen die Vorwegnahme des all-over gesehen. Doch Joseph Vincent, ein Zeitgenosse von Monet, soll angesichts eines Bildes des Impressionisten einmal gesagt haben: „Eine Tapete im embryonalen Zustand ist ausgearbeiteter als dieses Seestück.“

Vor allem das Spätwerk wird während eines Monet-Revival von einer Generation junger amerikanischer Maler als kraftvolle malerische Manifestation Ende der 1950er Jahre wieder entdeckt. Einige Künstler versuchten, traditionelle Malereivorstellungen zu entgrenzen, indem sie das Bildfeld größer wählten als das Blickfeld (Barnett Newman) oder ein verändertes Verhältnis von Figur und Grund zu etablieren, das aus mehreren Leinwänden resultierte, die auf der Wand eines Raumes wirkten, wie zuvor Figuren auf einem Bildgrund (Ellsworth Kelly). „Wenn der Abstrakte Expressionismus bestimmte Interpretationen von Monets Spätwerk nahe legte, so beeinflussten die Seerosen-Gemälde umgekehrt die Haltung gegenüber den New Yorker Abstrakten. […] Ähnlichkeiten zwischen den Seerosen und den neuen Bildern der New York School wurden allenthalben zum Anlass genommen, Monets schaffen neu zu interpretieren“, schreibt Michael Leja. Doch „ironischerweise hatten sich die Maler des Abstrakten Expressionismus nie auf Monet berufen.“


Dennoch rückten Kunsthistoriker und Kuratoren die Ähnlichkeit in Form, Format und Stil zwischen Monet und der zeitgenössischen Malerei, insbesondere Pollock, immer mehr ins Zentrum ihrer Auseinandersetzung und betonten eine innere Verwandtschaften jenseits der rein oberflächlichen Natur. Ein Kritiker der New York Times stellte in seinem 1959 erschienenen Buch ‚Mainstreams of Modern Art’ eine Abbildung von Monets Nymphéas (1920-26) Pollocks Autumn Rhythm (1950) gegenüber und schlug vor, den Begriff ‚Abstrakter Impressionismus’ für Pollocks „Farbspritzer und seilartige Farblinien“ zu verwenden.


Im Unterschied zur abstrakten Malerei ging es Monet zwar immer um das Hervorrufen von Stimmungen, wie sie beim Betrachten der Natur ausgelöst wurden, doch trotz allem ist sein Bestreben, die Farbe als elementarste Kraft der Malerei zu begreifen, bis heute exemplarisch.


Es erscheint mir aufschlussreich, auf diese Formen der Auseinandersetzung mit kompositorischen Fragen hinzuweisen, weil sie auch für das Werk von Jutta Obenhuber zentral sind. Sie befragt die Malerei mit den Mitteln der Malerei und ist ganz auf den Ausdruck bedacht, den spezifische Farbe auf unterschiedlichen Maluntergründen zu erzeugen in der Lage ist. Sehr eindrücklich formuliert sie in ihrer Malerei ‚mögliche Welten’ und fordert die Betrachter auf, in ihnen herumzuspazieren.


Die reduziert markierten Lackarbeiten unterscheiden sich äußerlich zunächst sehr von der reich bezeichneten Oberfläche der Pinselarbeiten. Doch dem Wesen nach sind sie eng miteinander verbunden. Sie thematisieren die Möglichkeiten des Malerischen von zwei Seiten her. Einerseits das dichte Netz aus Farbtönen, die in einer Art kreisenden Handschrift zu einer vibrierenden Bildebene verdichtet sind, andererseits die leichte, fast schleierhafte Anmutung der Farben. Doch für die Genese aller ihrer Bilder sind das Weiterarbeiten und die Wiederholung der Arbeitsabläufe eminent wichtig. So, wie sich in den Pinselarbeiten die Spuren der Malgeräte unzählige Male manifestieren und wieder auflösen, haben auch die Lackarbeiten tausendfach ihr Gesicht verändert. Und doch bleibt von jedem Eingriff, von jedem Verdecken und Öffnen etwas an der Oberfläche sichtbar oder ist in den Untiefen der Malerei als Reflex abgelagert.


Ohne Horizont und Ufer


„Nach den Lackarbeiten auf Aluminium, wo der Pinselstrich sozusagen eliminiert war, hatte ich das Bedürfnis, ganz bewusst mit dem Pinsel zu malen. Die Pinselbilder wurden mit der Arbeit komplexer, es entstanden mehrere Schichten und Durchsichtigkeiten.“


In seiner ‚Logik der Sensation’ erklärte Gilles Deleuze, es sei „ein Irrtum zu glauben, der Maler stehe vor einer weißen Oberfläche“. Die Dinge, die der Maler im Kopf habe oder um sich herum in seinem Atelier, auch diejenigen Bilder seiner Vorstellung oder Gegenwart seien bereits vorhanden. „So dass der Maler keine weiße Fläche zu füllen hat, er müsste sie vielmehr leeren, räumen, reinigen.“

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Besonders mit ihren Lackarbeiten greift Obenhuber jene eigenartige Auffassung des „Leerräumens“ von Deleuze auf, denn genau besehen trägt sie Farbe nicht auf, sondern ab. Die Vorstellung des Auftragens von Farbe, die seit jeher aufs Engste mit dem Tatbestand der Malerei verknüpft zu sein scheint, wird von ihr irritiert, wenn sie den Anstrich immer wieder entfernt. „Diese Arbeitsweise habe ich zwei Jahre lang entwickelt. Die Lackfarbe auftragen, dann mit dem feinsten Schleifpapier unter Wasser abtragen, die nächste Schicht auftragen usw. Es hat fast etwa Geologisches, wie eine Schicht nach der anderen auf- und abgetragen wird.“

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Ein abstrakter Bildraum kann durch sehr unterschiedliche Elemente und Motive zusammengehalten oder aufgelöst werden. So ist beispielsweise das Verhältnis der Teile zum Ganzen in den Pinselarbeiten von Jutta Obenhuber ebenso schwierig zu bestimmen wie das Verhältnis von Figur und Grund. Auf die Lackarbeiten bezogen scheint die Frage „was ist die Figur, was der Grund?“ gar in ihrem Fundament erschüttert, denn gewöhnlich steht innerhalb einer relativ gleichmäßig organisierten Komposition die Figur quantitativ hinter dem als durchgängig empfundenen Grund zurück. Die Wirklichkeit der Lackarbeiten sieht jedoch anders aus, weil der malerische Grund, das tiefer Liegende, genau jene wolkenartigen Flächen frei lässt, die als Figuren in Erscheinung treten.

Diese Wolken, Flecken und ‚Zwischenräume’ sind die Stellen, an denen die Idee des Malerischen mit dem Materiellen kollidiert. Hier ist die Tätigkeit der Malerin derart eingeschrieben, dass eine Vorstellung vom Prozess der Farbverwandlungen möglich wird.


Je mehr Lackschichten an einer bestimmten Stelle abgetragen wurden, desto tiefer und dunkler der Farbton, der von der weißen Oberfläche (der zuletzt aufgetragenen Lackschicht) umgeben ist.


Deleuze bringt die Malerei von Pollock und dessen Entwurf des all-over nochmals ins Spiel, wenn er behauptet, der Bildraum würde darin zu Grunde gehen und die Kraft der Unterschiedlichkeiten und ‚Lecks’ gerade dadurch ermöglichen.


„Im äußersten Fall erzeugte die abstrakte Malerei einen rein optischen Raum und beseitigte die taktilen Referenten zugunsten eines geistigen Auges: Sie strich die Aufgabe, die das Auge in der klassischen Malerei noch hatte, nämlich der Hand zu befehlten. Action-Painting aber machte etwas anderes. Es verkehrt die klassische Unterordnung, es ordnet das Auge der Hand unter, es zwingt dem Auge die Hand auf, es ersetzt den Horizont durch einen Boden.“ 9


Kompositorische Sicherheiten aufzugeben und den prinzipiell uferlosen, abstrakten Raum zu betreten, beinhaltet für Jutta Obenhuber auch die Möglichkeit, besondere Beziehungen zu einer Figürlichkeit des Abstrakten aufzubauen. Die Sensation der Gleichzeitigkeit von farbigen Linien und Flecken will nicht als Schock verstanden werden, sondern als Einladung, dem Phänomen der Fülle und Leere anerkennend gegenüberzustehen.


Exkurs in einen fremden Garten


„Zen-Garten. Keine Blume, keine Fußspur: Wo ist der Mensch? Im Transport der Felsen, in der Spur des Rechens, in der Arbeit des Schreibens.“ 10

1981 legte der amerikanische Philosoph und Pragmatiker Richard Rorty mit ‚Der Spiegel der Natur’ eine radikale Erkenntniskritik vor, die mit der bis dahin gültigen Trennung von Geist und Materie ebenso brach wie mit dem Verhältnis zwischen erkennendem Subjekt und zu erkennender Realität. Diesem Paradigma folgend, gleicht das denkende Bewusstsein einem Spiegel, in dem die äußere Natur ihr Wesen enthüllt. Rorty verabschiedet sich von diesem Spiegel und löst auch die Polarität von Innen- und Außenwelt auf, indem er sagt, dass wir in unseren Erkenntnissen nur das finden, was wir vorher selbst hineingelegt haben.

Die Philosophie steht nach Rorty im Dienst der Welterschließung und er weist immer wieder auf die Abhängigkeit allen Denkens von sozialen Kontexten und kulturellen Techniken hin.


„Das Inganghalten eines Gesprächs als hinreichendes Ziel der Philosophie zu sehen, Weisheit als das Vermögen zu verstehen, ein Gespräch mitzutragen, heißt, den Menschen nicht als ein Wesen zu sehen, das man irgendwann akkurat beschreiben zu können hofft, sondern als den Erzeuger von Beschreibungen.“

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Eine Welt, die Obenhuber sehr detailliert beschreibt, ist die der Pflanzen- und Körperformen, die Gegenstand ihrer Zeichnungen sind. Sie entstehen kontinuierlich und eigenständig neben dem malerischen Werk. Mit Buntstiften, Tinte und in Aquarell schildert sie auf einfachen Papieren einen klar umrissenen Kosmos aus Gewächsen, Blüten und vegetabilen Elementen, der durchsetzt ist von körperhaften Andeutungen.


Zwei geschwungene Linien, die spiegelbildlich aneinandergesetzt sind, erinnern nicht nur an Ober- und Unterlippe, die zusammen einen Mund ergeben, sondern auch an eine Brust oder die Formation zweier Körper, die aufeinander liegen. Blatt- und Blütenformen entfalten sich aus einfachen Linien, zellartige Ansammlungen werden aus harten Schraffuren oder wellenartigen Strichen gebildet. Die Elemente wiederholen sich und werden neu figuriert, als würden sie Stadien einer Metamorphose zeigen.


In dieser Struktur von Entwickeln und Verdichten sind die Zeichnungen der malerischen Arbeitsweise sehr anverwandt. Zwar ist jede Lackschicht, jeder Pinselschwung und jede Zeichnung das Resultat einer augenblicklichen Aktion, doch sie gewinnen sie durch die vielen Wiederholungen davor und danach eine räumliche und zeitliche Dimension.


Die Malerei von Jutta Obenhuber ist dem leuchtenden Kolorit bis hin zum Bunten verpflichtet und kontrastiert das gestische Moment mit dem repetitiven ihrer Methode. Gleichmaß und Takt der Pinselarbeiten aber auch Stille und Übersicht der Pinselarbeiten charakterisieren ihr Verfahren, bei dem auch meditative Aspekte in den historischen Bezugsrahmen der Farbfeldmalerei einfließen.


Ihr Werk spielt mit den Möglichkeiten zwischen Ausnahme und Regel, zwischen Abstraktion und Ornament, zwischen Präsenz und Verschwinden.



1 — ANDREA DE CARLO, Vögel in Käfigen und Volieren, Zürich: Diogenes, 1986, S. 12.
2 — Jutta Obenhuber am 18. Januar 2006 in einem Brief an den Autor.
3 — Claude Monet am 22. Juni 1890 in einem Brief an seinen Freund und Biographen Gustave Geffroy.
4 — MICHAEL LEJA, Die Wiederentdeckung Monets, in: Claude Monet bis zum digitalen Impressionismus [Ausstellungskatalog], München: Prestel, 2002, S. 138.
5 — JOHN CANADAY, Mainstreams of Modern Art, New York, 1959, S. 190.
6 — Jutta Obenhuber im Gespräch mit Alissa Walser, in: JUTTA OBENHUBER, Mögliche Welten [Katalog], Frankfurt, 2000, S. 19.
7 — GILLES DELEUZE, Francis Bacon – Logik der Sensation, München: Fink, 1995, S. 55.
8 — Jutta Obenhuber im Gespräch mit Alissa Walser, in: JUTTA OBENHUBER, Mögliche Welten [Katalog], Frankfurt, 2000, S. 18.
9 — GILLES DELEUZE, Francis Bacon – Logik der Sensation, München: Fink, 1995, S. 66.
10 — ROLAND BARTHES, Das Reich der Zeichen, Frankfurt / Main: Suhrkamp, 1981, S. 106.
11 — RICHARD RORTY, Der Spiegel der Natur, Frankfurt / Main: Suhrkamp, 1981, S. 409.







Alissa Walser im GesprÄch mit Jutta Obenhuber


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Alissa Walser Hast du das Gefühl, dass du mit dir selber in Dialog arbeitest, weil du immer wieder die Strukturen änderst in deiner Malerei und dir neue Alternativen suchst? Zum Beispiel hast du eine geschlossene Oberfläche bei den Lackarbeiten, dann eine offene bei den Pinselstrichen; man könnte dies fast als einen Gegensatz sehen.

Es gibt ja Maler, wie meinen Lieblingsmaler Philip Guston, der hat bewusst gegensätzliche Arbeiten gemacht. Erst gegenständlich, dann völlig ungegenständlich. Er hat das als eine Art Dialog mit sich gesehen.

Jutta Obenhuber Die eine Serie ist oft das Gegenüber einer anderen. Zum Beispiel hat mich bei den Lackarbeiten interessiert, den Pinselstrich als Duktus zu eliminieren durch die Eigenschaft des Lacks, die Oberfläche zu schließen. In den Pinselarbeiten, die ich später gemalt hatte, habe ich wiederum sehr bewusst mit dem Pinselstrich gearbeitet. Also schon auch ein Dialog. Jedoch arbeite ich nicht in Gegensätzen so wie du es bei Philip Guston beschreibst. Es ist vielmehr so, dass, obwohl die Ausgangsmaterialien sehr unterschiedlich sind (Lack, Ölfarbe, Aluplatte, Stoff, Faden) meine Grundthematik wieder Gemeinsamkeiten entstehen lässt.
A.W. Welche Bedeutung hat es für dich, mit welchen Materialien du arbeitest? Was waren z.B. die Gründe für die Lackfarbe?
J.O. Mir haben die Eigenschaften des Lackes gut gefallen. Der Lack verschließt seine Oberfläche im Trocknungsprozess und so entsteht ein Ausdruck von Distanz.

Dass eben keine emotional aufgewühlte Pinselhandschrift zu sehen ist und somit auch etwas Unberührtes, Fernes entsteht. Auch eine Leichtigkeit, keine Schwere.

A.W. Und du bist jetzt doch auf die Ölfarbe zurückgekommen?
J.O. Ja. Durch die CD-Gestaltungen für „between the lines“ bin ich wieder mehr zur Pinselstruktur gekommen. Nach der langen Beschäftigung mit den Lackarbeiten wo der Pinselstrich sozusagen eliminiert war wollte ich den Pinsel wieder ganz bewußt benutzen.

Allerdings sehe ich zwischen den Lackarbeiten und den Pinselarbeiten keinen Gegensatz.
A.W. Was für Einflüsse hattest du, als du mit dem Malen angefangen hattest?

Du hast, glaube ich, viele Selbstporträts gemacht?

J.O. Ja. Als ich mich an der Kunstakademie bewarb hatte ich viele Selbstporträts in meiner Mappe.

A.W. Waren die so richtig vor dem Spiegel abgemalt?

J.O. Vor dem Spiegel, aber auch aus dem Kopf.

A.W. Und auch mit Ölfarbe?

J.O. Damals habe ich auch schon Ölfarbe, aber auch Kreide und Kohle benutzt.

Als ich an der Städelschule in Frankfurt mein Studium anfing, beendete ich ziemlich schnell die Selbstporträts., wovon ich auch genug gemalt hatte. Allerdings denke ich dass diese realistische Form der Malerei auch bei meinen neueren Arbeiten ihre Spuren hinterlassen hat.

Meine Arbeiten zeichnen sich auf der einen Seite sicherlich durch eine abstrakte Geisteshaltung aus, auf der anderen Seite aber haben sie auch eine Figürlichkeit oder Körperlichkeit beibehalten. Die Lackarbeiten zum Beispiel haben in ihrer Anmutung etwas von Erscheinungen oder Reflexionen in der Natur.

A.W. Du hattest ja, glaube ich, auch mal Pflanzen gemalt.

J.O. Als ich für ein halbes Jahr in Barcelona lebte, hatte ich mich in einer Zeichenserie mit Pflanzen- und Körperformen sowie den Überschneidungen beider beschäftigt. Ich habe z.B. Blätter ähnlich wie Körperteile gezeichnet.

A.W. Das war auch mit Ölfarbe?

J.O. Mit Stift, über den ich mit Ölfarbe gemalt habe.

Ich habe mit extrem verdünnter Ölfarbe auf Papier gemalt, da diese nicht sofort in das Papier einsaugt wie das bei Aquarellfarbe der Fall ist.

A.W. Welche Maler waren für dich wichtig?

J.O. Einer der ersten war Cezanne.

Noch vor meiner Studienzeit hatte ich ein Stillleben von Cezanne gesehen, wo die Umrisslinie eines Apfels da aufhört wo ein anderer Apfel diesen Apfel berührt und diese Linie anstatt bei dem einen Apfel zu bleiben auf den anderen Apfel übergeht. Das war etwas Neues für mich
.
Die amerikanischen Expressionisten haben mich auch beeindruckt. Pollock, Barnett Newman, Kelly mit der fast körperlichen Wirkung durch die Größe und Intensität ihrer Arbeiten.

Mondrian mit seiner universalen Klarheit. Matisse der den Einklang mit Leben und Welt in seinen Bildern sucht. Malevitsch, auch dessen Bauernbilder, die auf der Kippe zwischen figürlich und abstrakt sind. Das Leben eines Duchamp.

Jedoch auch Richard Tuttle hat mich immer wieder interessiert. Seine reflektierten, fragilen Arbeiten, die sich auf die Aspekte des Lebens beziehen. Es gibt jedoch viele Maler, die mich auf irgendeine Art beeinflusst haben. Zum Beispiel hat mir bei Günther Förg die lockere Malerei, die manchmal etwas von anstreichen hat, gut gefallen. Dann sind da natürlich noch die Alten Meister wie Piero della Francesca, die Farben bei Pontormo usw.

A.W. Du warst auch einige Zeit in Italien?

J.O. Ja, mehrmals. In Rom habe ich einen Monat und in Florenz drei Monate verbracht. Insgesamt kann ich sagen dass ich es mag wenn ich das Betrachten von Kunst mit dem gleichzeitig Erlebten verbinden kann. Es entsteht ein komplexeres Bild, mehrere Ebenen finden gleichzeitig statt im Vergleich dazu wenn ich eine Information ausschließlich über ein Buch oder das Internet bekomme.
A.W. Ab wann hast du mit Lack und Aluminium angefangen zu arbeiten?

J.O. Vor ungefähr sechs Jahren. Ich wollte nicht mehr auf Leinwand arbeiten, was ich lange gemacht hatte, weil mich die Struktur des Nessels gestört hatte. In diesen Arbeiten brauche ich die glatte Oberfläche des Aluminiums. Die Farbe wird nicht gleich aufgesogen wie dies bei Nessel der Fall ist. Der Stoff hat schon seine gewebte Struktur. Das Alu ist einfach nur da, glatt und ohne Struktur.

A.W. Das Aluminium ist maschinell hergestellt, man sieht die menschliche Handarbeit nicht mehr.

J.O. Ich mache auch Arbeiten mit Stoff, aber diese Arbeiten bemale ich nicht mehr, da arbeite ich mit der Stofflichkeit.

A.W. Dann hast du angefangen mit den Lackarbeiten, die du in Schichten aufgetragen und abgetragen hast.

J.O. Ja. Diese Arbeitsweise habe ich zwei Jahre lang entwickelt. Die Lackfarbe auftragen, dann mit dem feinsten Schleifpapier unter Wasser abtragen, die nächste Schicht auftragen usw. Es hat fast etwas Geologisches, wie eine Schicht nach der anderen auf- und abgetragen wird. Mit jeder Schicht wird die Struktur komplexer; am Anfang gibt es eine Farbe, am Schluss acht oder neun. Mit dieser Vorgehensweise entgehe ich dem klassischen Komponieren: hier oben rot, da unten noch etwas grün usw.

A.W. Also ein Reagieren auf das, was du vor dir hast?

J.O. Ja. Eine Mischung aus Konzept und Zufall.

Ich weiß nicht welche Farbe an einer bestimmten Stelle hervorkommt. Wie sich die Struktur aufbaut ist jedoch bewusst erarbeitet. So gehört es zum System dass an einzelnen Stellen verschiedene Lösungen möglich sind. Also ein Spiel aus Freiheit und dem Umgang damit. Es darf nie zufällig oder beliebig wirken. Die offen angelegte Struktur soll alles halten.

A.W. Sind diese Bilder für dich Landschaften oder ist für dich ein Raum hinter der Oberfläche? Also sind sie im weitesten Sinne illusionistisch oder ist es Malerei auf Aluminium oder ist das Oberfläche wo etwas dahinter ist oder davor?

J.O. Das Material ist während des Arbeitsprozesses sehr wichtig. Aber am Schluss soll sein wie mit der wittgensteinschen Leiter, die ich wegwerfen kann wenn ich oben angekommen bin. Wenn das Bild fertig ist soll das Material nicht wichtiger sein als der Ausdruck des Bildes. Die Lackarbeiten haben etwas von imaginären Landschaften. Obwohl ich keine Landschaften male können diese Arbeiten an reflektierte Landschaften erinnern.

A.W. Die Emotionen finden nicht so sehr während des Arbeitsprozesses statt, sondern du möchtest eher emotionale Reaktionen?
J.O. Am Schluss soll es nicht mehr wichtig sein wie das Bild gemacht ist. Der Betrachter soll sich nicht mit Maltechniken beschäftigen müssen. Es soll ein eigenständiges Bild entstehen, das meine Erklärungen und die Beschäftigung mit der Herstellung desselben nicht mehr braucht. Auf die Frage kommend: das fertige Bild kann emotionale Reaktionen beim Betrachter hervorrufen, jedoch nicht penetrant. Dafür habe ich zu viel an der Form gearbeitet.

Besonders die Lackarbeiten kommen nicht auf den Betrachter zu, sie entfernen sich eher von ihm. Wie eine Landschaft die das Auge in die Ferne zieht.

A.W. Würdest du sagen dass bei dir die eine Arbeitsweise die andere bedingt?

J.O. Unbedingt. Nach den Lackarbeiten zum Beispiel, wo der Pinselstrich sozusagen eliminiert war hatte ich das Bedürfnis, ganz bewusst mit dem Pinsel zu malen. Die Pinselbilder wurden mit der Arbeit komplexer, d.h. es entstanden viele Schichten und Transparenzen, die Pinselstrukturen greifen ineinander.

Aus den Pinselarbeiten haben sich die Stoffbilder entwickelt, die mit ihren transparenten Ebenen und hellen Farbigkeiten Parallelen mit den Pinselarbeiten haben.

A.W. Wie machst du diese? Kaufst du dir transparente Stoffe?

J.O. Ja. Ich kaufe transparente Stoffe, manchmal indische Umhangstoffe, die bereits eine sehr intensive Farbigkeit haben. Diese Stoffe nähe ich in einer Art Kissenform aneinander, so dass sich eine hintere Ebene ergibt, eine vordere Ebene und dazwischen Luft. Die vordere Ebene ändert sich, je nachdem wie die hintere Ebene ist. Die Stoffarbeiten sehe ich auch als Bilder.

A.W. Wirst du an den Stoffarbeiten weitearbeiten?

J.O. Ja. Jedoch ist es schwierig sie größer zu machen. Der Stoff verliert die Stabilität in sich. Aus diesem Problem heraus sind die Fadenarbeiten entstanden, die noch fragiler sind, jedoch sehr groß werden können.

A.W. Du hast bei den Faden- und Stoffarbeiten, sage ich mal, nichts, was die Form vorgibt. Du hältst dich aber zum Beispiel bei den Aluminiumarbeiten an die Konvention des Rechtecks. Du könntest es zum Beispiel so sehen, dass die Fadenarbeiten die gesamte Wand als Form haben. Aber für dich sind es Bilder?

J.O. Für mich sind es Bilder, keine Objekte. Ich könnte sagen dass ich mich mit meinen Arbeiten um die Malerei drehe. Manchmal ist der Radius größer, manchmal kleiner. Ich nehme als Bildform gerne das Rechteck weil mich diese Form am freiesten lässt. Sie ist letzten Endes weniger dominant als eine andere Form. Man könnte bei den Fadenarbeiten die Wand als Bild sehen und die Fäden als Teil davon, dann wären wir auch wieder beim Rechteck.

A.W. Aber du würdest jetzt trotzdem nicht sagen, das geht jetzt sagen wir mal in Richtung Installation?

J.O. Von der Vorgehensweise her gesehen geht es schon in Richtung Installation. Ich installiere die Fäden an der Wand. Diese Arbeit kann nicht an einen anderen Ort mitgenommen werden wie ein Bild. Ich mache diese Fadenarbeit für eine bestimmte Wand in einem bestimmten Raum. Letzten Endes sind die gleichen Fragestellungen in diesen Arbeiten wie in meinen anderen Bildern.

A.W. In diesen Arbeiten spielt die Räumlichkeit eine größere, konkretere Rolle. Natürlich kann auch ein Bild räumlich sein, aber anders. Beim Bild ist die Tiefe doch eher eine illusionistische, die von unseren Sehgewohnheiten herrührt. Dachtest du: hier habe ich die Illusion, jetzt interessiert mich der konkrete Raum?

J.O. Mich interessiert in erster Linie der Bildcharakter. Die Illusion interessiert mich auch weil sie etwas Raffiniertes ist. Die Stoff- und Fadenarbeiten sind zwar räumlich, doch auch hier spielt die Illusion eine Rolle. So sind die Fäden aus ein paar Metern Entfernung nicht mehr als Fäden zu erkennen, sondern erinnern eher an flirrendes Licht. Vor kurzem habe ich das Buch „Nahe dem wilden Herzen“ von Clarice Lispector gelesen. In erster Linie formuliert Lispector die Empfindungen und Gedanken der Protagonistin, welche die Außenwelt in ihr auslösen. Also die Wandlung von Außenwelt in Innenwelt. Sie schreibt an einer Stelle dass alle Dinge ihre Verwandlung in sich tragen. Für mich ist dies ein interessanter Aspekt auch in der bildenden Kunst. Die Frage welche Verwandlungsfähigkeit Kunstwerke in sich tragen.

Die Malerei ist für mich das geeignete Medium mich mit dieser Fragestellung auseinanderzusetzen. Sie lässt einen hohen Abstraktionsgrad zu ist jedoch immer sinnlich. Wie du schon gesagt hast, spielen bei der Betrachtung eines Bildes die Sehgewohnheiten, die sinnliche Wahrnehmung, eine große Rolle.

A.W. ...ich male ja nicht mehr.

Bei mir kam es dass ich die Liebe zu meinem Material verloren hatte. Ich habe früher selbst meine Pigmente angerieben, wollte das dann irgendwann nicht mehr, auch die Berührung mit der Ölfarbe wollte ich nicht mehr. Das war wie ein Ballast. Ich wollte diese Dinge loswerden und bin erstmal umgestiegen auf Acrylfarbe.

Was ich noch fragen wollte: der Arbeitsprozess ist sehr lange bei dir. Wie lange arbeitest du an einem Bild?

J.O. An den Lackarbeiten arbeite ich zwei bis drei Monate. Das heißt aber nicht dass ich jeden Tag daran arbeite. Die einzelnen Schichten müssen immer wieder durchtrocknen.

A.W. Machst du im Moment Zeichnungen?

J.O. Wie du vorhin sagtest, man kann nicht alles machen. Gerade konzentriere ich mich auf die Malerei.

A.W. Wo würdest du den Unterschied zwischen Zeichnung und Malerei sehen?

J.O. Zeichnung ist Linie, Malerei mehr Fläche und Farbe. Zeichnung ist meist unmittelbarer als Malerei.

A.W. Das sehe ich auch so. Zeichnung ist meist etwas spontaner. Vielleicht ist sie intimer, vom Format kleiner.

Die Frage ist, inwieweit fließt dein Leben in die Kunst?

Du bist hier im Atelier, hier ist deine Tätigkeit. Aber wo machst du deine Erfahrungen? Du machst deine Erfahrungen außerhalb des Ateliers, Gott sei Dank. Du hast also nicht nur mit Formen und Aluminium und anderen Arbeitsmaterialien zu tun, sondern hast Umgang mit Menschen. Du gehst ja nicht nur auf den Kunstmarkt, sondern gehst ins Kino, führst ein ganz normales Leben, das man eben im Jahr 2000 so führen kann. Inwieweit fließen die Erfahrungen die du so machst in deine Arbeit und wie erkennst du sie wieder? Sind sie ganz direkt da oder versuchst du sie ganz bewusst rauszuhalten?

J.O. Es ist schon so, dass die Summe meiner Erfahrungen und meiner Erwartungen meine Person ausmachen. Insofern ist die Kunst von meiner Lebenswelt beeinflusst. Durch die Arbeit an der Form jedoch soll diese nicht im Subjektiven stecken bleiben. Wie würdest du das bei dir sehen?

A.W. Was mich eigentlich interessiert, sind die Geschichten, die Menschen sich selbst über sich erzählen. Sie zu sehen und gleichzeitig zu hören, was erzählen sie über sich selbst, wie erklären sie sich, dass sie so sind wie sie sind, wie erklären sie sich die Welt und zu sehen, wie kommen sie mir eigentlich vor dabei. Deshalb versuche ich mich viel mit Leuten zu unterhalten und mache mir auch relativ viel Notizen. Die Geschichte entsteht erst am Schreibtisch, ist auch voll konstruiert. Ich schreibe ja nicht selbst erlebte Geschichten auf oder Geschichten die mir jemand anderes so erzählt.

J.O. Ist dir das Sammeln vor der Natur oder die Konstruktion am Schreibtisch wichtige?

A.W. Das kann ich so nicht sagen. Ich würde wahrscheinlich die eine ohne die andere nicht ertragen. Machst du dir auch so etwas wie Notizbücher?

J.O. Nein. Vielleicht in meinem Kopf. Dort wiederum sammle ich eher Bilder und Emotionen, die nicht in Sprache formuliert sind.

A.W. Du verbalisierst das dann nicht?

J.O. Nein.

A.W Ich fand es bei der Malerei auch immer ein Problem, wenn man mal etwas entdeckt hat für sich, womit man wirklich zufrieden war, hatte dieses Entdecken auch immer etwas Problematisches für mich. Dieses Problem: was machst du jetzt? Gut, du kannst es reproduzieren. Wenn der Glücksmoment vorbei war, kamen die Probleme.

J.O. Nach einem Gelingen die Befürchtung, dass das Nächste dahinter zurückbleibt.

A.W. Einerseits ist man blockiert, andererseits reizt es ja auch, weiterzumachen. Den Schwung, den man hat, nutzen, aber sich die Freiheit zu lassen, dass alles passieren kann.

J.O. Unzufriedenheit ist ja oft ein besserer Motor als Zufriedenheit. Nach einer gelungenen Arbeit hat man oft nicht unmittelbar das Gefühl gleich weitermachen zu müssen. Man möchte das Erreichte für einen Moment genießen.

A.W. Ich könnte mir gut vorstellen, zwei Standbeine zu haben. Eines in Deutschland, das andere zum Beispiel in Italien.

J.O. Ja, ich bin auch immer wieder erstaunt, wie lange ich nun schon in Frankfurt lebe.

Man müsste sich eben entscheiden für eine konkrete andere Stadt. Je mehr Entscheidungen ich in meinem Leben treffe umso leichte fällt mir die einzelne.

A.W. Man muss nicht denken dass eine bestimmte Entscheidung das Leben entscheidet. Jede Entscheidung entscheidet das Leben.

J.O. Ja. Und es ist meistens besser gewesen, wenn ich mich für oder gegen etwas entschieden habe, als wenn ich mich nicht entschieden habe.